In einem Punkt waren sich alle vier Experten einig: 2023 werde Europa in eine Rezession rutschen – allerdings in überschaubarem Ausmaß. Danach, so Philipp Arnold von Raiffeisen, sei mit einer langsamen Erholung zu rechnen. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone und in den USA dürfte um die 0,3 Prozent zu liegen kommen, in Österreich könnte mit 0,5 Prozent zu rechnen sein. Als Risikofaktoren sehen die Experten weiterhin die Teuerung mit einer Kerninflationsrate um die sechs Prozent in der Eurozone.

In Sachen Geldpolitik gehen die ZFA-Experten davon aus, dass es wohl weitere, aber eher moderate Zinserhöhungen geben werde. Für das erste Quartal 2023 rechnet Philipp Arnold mit einer Anhebung um insgesamt 125 Basispunkte in der Eurozone. Für den weiteren Jahresverlauf bzw. für 2024 werden wieder erste Zinssenkungen prognostiziert. „Das könnte auf den Aktienmärkten vorübergehend eine höhere Volatilität auslösen. Aufgrund der tendenziell sinkenden Inflation und Auflösung von Lieferkettenproblemen glauben wir jedoch an eine positive Entwicklung auf den Aktienmärkten“, so Arnold. Raiffeisen favorisiert derzeit US-Titel. Bei Tech- und Pharmawerten könnte ab Mitte des Jahres mit einer deutlichen Erholung zu rechnen sein.

Unsicherheit nach fulminantem Start.

UniCredit Onemarkets sieht 2023 als „Jahr des Übergangs mit positivem Ende“. Das Jahr sei, so Frank Weingarts, „fulminant gestartet“, allerdings läge noch einiges an Unsicherheit vor uns. Hohe Energiepreise würden weiterhin belastend wirken. Zwar seien sie schon wieder rückläufig, doch machten sich nun Nachzieheffekte bemerkbar. Weingarts: „Manche Produkte und Gewerke, etwa in der Baubranche, werden erst jetzt teurer. Die Inflation wird uns also noch eine Weile begleiten.“

Insgesamt nehme die Lieferkettenproblematik ab, was sich positiv auf die Börsen auswirke. „Die europäischen Börsen zeigen sich sehr robust. Der EURO STOXX hat sich stabilisiert und die Höchststände vom Februar 2022 unmittelbar vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine wieder erreicht“, so Weingarts. „Wir glauben daher an Aktien und Produkte auf Aktienbasis. Das Zinsniveau ist einladend und ein höheres Gewinnwachstum ist zu erwarten – insbesondere bei Unternehmen, die die höheren Preise an die Verbraucher weitergeben können. Hier sollten wir 2023 ein entsprechendes Gewinn- und Dividendenwachstum sehen.“

Zuerst steigende, dann wieder sinkende Zinsen.

Vontobel-Experte David Hartmann warf in seinen ökonomischen Basisszenarien einen Blick auf die Zentralbanken, deren Verhalten für 2023 entscheidend sein könnte. Nachdem die hohe Inflation die Reallöhne sinken ließ, sei nun das Konsumverhalten rückläufig, zumal auch der Wachstumsmotor China ins Stocken geraten sei. „China ist ein riesiger Absatzmarkt, allerdings wächst dort die kaufkräftige Mittelschicht nicht mehr so schnell wie in der Vergangenheit. Markenartikler setzen deshalb in China weniger ab, was die Rezession befördert“, so Hartmann.

„Als Zentralbank würde man in dieser Situation gerne die Zinsen senken, um die Verschuldung für Unternehmen zu erleichtern. Allerdings besteht in Europa wenig Spielraum, um die Wirtschaft durch billige Kredite groß anzuschieben, weil das Zinsniveau ohnehin sehr niedrig ist“, so Hartmann weiter. Er sieht die USA aufgrund ihres höheren Zinsniveaus im Vorteil, weil dort das Potenzial für konjunkturbelebende Zinssenkungen größer sei.

Ein neuerliches Steigen der Inflation im Euroraum schließt Hartmann eher aus. Er rechnet 2023 mit zumindest „stabilen Lebensmittel- und Energiepreisen“, bei denen eine weitere Steigerung „nicht vorstellbar“ sei. Allerdings könnte sich die Situation durch einen neuerlichen Angebotsschock auf dem Energiesektor wieder ändern.

Luxustitel, Versorger, Pharma und ESG.

Uwe Kolar von der Erste Group erwartet für 2023 zunächst etwas Unruhe in den Märkten. „Mit Zertifikaten lassen sich aber gut Brücken bauen“, so der Experte. Sein Ausblick für 2023 sieht ebenfalls zunächst steigende Zinsen vor, die sich im Anlage- und Produktauswahlverhalten der Kunden bemerkbar machen werden.

Stark im Kommen sind für Kolar Aktien im Bereich der Tech-Werte, wobei er Papieren aus Europa für 2023 den Vorzug gegenüber den USA geben würde. Titel aus Luxusbranchen, die auch in der Rezession gute Zahlen liefern wie LVMH, oder Versorger wie EVN und Pharmaunternehmen wie Lilly sind laut Kolar „interessante Papiere mit Charme“, wenngleich er angesichts der gestiegenen Zinsen nun vermehrt zu gemischten Aktien-Anleihen-Portfolios raten würde. Spannend bleibt für ihn auch das Thema ESG. „Die neuen ESG-Regularien beschäftigen uns als Bank überproportional. Dennoch werden wir entsprechende ESG-Produkte weiter im Angebot haben“, so Uwe Kolar.