Trotz Corona-Pandemie, Weltwirtschaftskrise und globaler Handelsstreitigkeiten erreichte der amerikanische Leitindex S&P 500 im September ein neues Allzeithoch, und auch der DAX hat sich seinen historischen Höchstständen aus dem Februar wieder stark angenähert. Bei offensichtlicher Ignorierung der Risiken werden die Ertragsperspektiven des Aktienmarktes derzeit wohl deutlich überschätzt. Was bedeutet das für die Anlagestrategie?

Die Ertragsperspektiven, bestehend aus Dividenden und erwarteten Kursgewinnen, müssen im Vergleich zu den eingegangenen Risiken somit hinreichend attraktiv sein, um ein Engagement in einer Aktie bzw. im Aktienmarkt rechtfertigen zu können. Dabei ist bezüglich der Risiken zwischen den bereits bekannten negativen Einflussfaktoren und etwaigen zusätzlichen Gefahrensituationen, die heute nicht absehbar sind, in Zukunft aber durchaus eintreten können, zu unterscheiden. Am gefährlichsten sind in dieser Hinsicht gänzlich unbekannte Risikokomponenten, die es zuvor noch nie gab (sog. „unknown unknowns“).

Da es im Portfoliomanagement immer denkbar ist, dass nach dem Erwerb von Wertpapieren neue Risiken auftauchen, die zum Kaufzeitpunkt nicht absehbar waren, muss die Ex-Ante-Rendite-Chance so hoch sein, dass neben den bereits bekannten Risikofaktoren zusätzlich auch noch potenzielle neue Risiken kompensiert werden können. Diese Sicherheitsmarge wird im Fachjargon als „Margin of Safety“ bezeichnet.

Notierungen am top, Gewinne brechen ein

Beim Blick auf den amerikanischen, aber auch auf den deutschen Aktienmarkt fällt auf, dass sich viele Notierungen nahe ihrer Tops befinden, während die Firmengewinne aufgrund der Corona-Krise deutlich schrumpfen. Selbst bei sehr optimistischer Betrachtungsweise wird das Ertragsniveau von 2019 wohl frühestens im Jahr 2022 wieder erreicht werden. Zwar nehmen die Aktienbörsen das konjunkturelle Geschehen in der Regel weit vorweg, diesmal ist jedoch eine derart „extreme Durchschau“ – um nicht zu sagen Ignoranz – zu beobachten.

Shiller-KGV bei knapp 30: am Vorabend der Größten Baisse aller Zeiten?

Ein etablierter Bewertungsmaßstab für Aktienmärkte ist das sog. „Shiller Kurs-Gewinn-Verhältnis“, auch CAPE genannt (Cyclically Adjusted Price Earnings Ratio). Bei dieser vom amerikanischen Professor und Nobelpreisträger Robert J. Shiller entwickelten Kennzahl wird eine Glättung der Firmengewinne vorgenommen, indem der Zehn-Jahres-Durchschnittswert verwendet wird (Shiller-KGV = Aktienkurs / durchschnittlicher Gewinn nach Steuern der letzten zehn Jahre). Das Shiller-KGV ist zwar nicht geeignet, um kurzfristige Aktienmarktbewegungen anzuzeigen. Es ist aber ein sinnvoller Maßstab, um die mittel- bis langfristigen Return-Perspektiven zu ermitteln. Aktuell liegen wir hier für die Wallstreet bei einem Wert von knapp 30, womit wir uns fast auf dem Niveau von 1929 befinden. Historisch betrachtet war das Shiller-KGV nur ein einziges Mal – nämlich im Jahr 2000 – signifikant höher. Bekanntlich handelte es sich bei 1929 und 2000 jeweils um den Vorabend der größten Baisse-Phasen aller Zeiten.

Drei bekannte Problemfelder, null Beachtung

Ganz offensichtlich ignoriert der Aktienmarkt den größten Wirtschaftseinbruch seit Jahrzehnten bzw. hat diesen bereits abgehakt, bevor er überhaupt eingetreten ist. Neben den Unsicherheiten hinsichtlich der Dauer und der Tiefe der Rezession bleibt das Thema „Covid 19“ bis dato noch ohne echte Lösung. Die Infektionszahlen sind in den zurückliegenden Wochen wieder deutlich angestiegen und wann es einen wirksamen Impfstoff geben wird, steht in den Sternen. Auch die globalen Handelskriege, das vor der Corona-Pandemie alles beherrschende Angst-Thema, sind keineswegs vom Tisch, sondern stellen mehr denn je weiterhin schwelende Konfliktpotenziale dar. Somit existieren mindestens drei bekannte ganz elementare Problemfelder, die zumindest derzeit kaum beachtet werden. Etwaige neue Risikofaktoren sind erst recht nicht eingepreist. Die Margin of Safety fehlt beim S&P 500 und beim DAX damit vollständig. Es ist allerdings zu konstatieren, dass nicht alle Segmente des Aktienmarktes am All-Time-High notieren bzw. Shiller-KGVs aufweisen, die ein dramatisches Warnsignal aussenden. So sind die Bewertungen beim EuroStoxx50 derzeit etwas weniger ambitioniert als etwa an der Wallstreet. Fällt das Shiller-KGV (CAPE) beim S&P 500 mit einem Wert von 28,6 aktuell so hoch bzw. sogar höher als in 99 Prozent aller vorangegangenen Zeitpunkte seit 2010 aus, gilt dies mit einem aktuellen CAPE von 16,8 beim Euro Stoxx 50 „nur“ für 70 Prozent der Fälle. Zu bedenken ist dabei aber, dass der US-Aktienmarkt typischerweise die Leitbörse ist, welche die Richtung für den Rest der Welt vorgibt.

Für risikoaverse Investoren, die Wert auf eine ausreichende Margin of Safety legen, bieten sich long-only Aktieninvestments in ETFs auf den US-Aktienmarkt derzeit deshalb nicht an. Etwas bessere Chance-Risiko-Profile weisen die europäischen Aktienmärkte auf, wobei die Sicherheitsmarge auch hier eher gering ausfällt.

Ausweitung der Sicherheitsmarge durch optionsbasiertes Investieren

Da die Assetklasse Aktien trotz ihrer aktuell hohen Bewertung sowohl im Hinblick auf ihre langfristigen Renditeperspektiven wie auch aus Diversifizierungsgründen in keinem ausgewogenen Wertpapierdepot fehlen sollte, muss es nun darum gehen, sich die bei Aktien-Direktinvestments fehlende Sicherheitsmarge auf andere Weise zu beschaffen.

In einer möglichen Strategie werden Put-Optionen auf europäische Aktien und Aktienindizes verkauft und dafür regelmäßig Optionsprämien vereinnahmt. Dabei liegt der Basispreis der Put-Optionen (Strikelevel) deutlich unter den jeweiligen Kursen der Underlyings – und zwar in der Regel etwa 15 bis 20 Prozent tiefer. Aus diesem Abstand sowie der vom Optionskäufer zu zahlenden Optionsprämie ergibt sich ein Sicherheitspuffer. Oder anders ausgedrückt: Die Margin of Safety ist unabhängig von der Bewertung der zugrundeliegenden Basiswerte automatisch implementiert.

Hinsichtlich der aktuellen Marktlage ist zudem das Phänomen zu beobachten, dass der Optionsmarkt im Gegensatz zum Aktienmarkt sehr wohl die bestehenden Risiken einpreist, wie sich an der impliziten Volatilität, die derzeit weitaus überdurchschnittlich hoch ausfällt, unschwer ablesen lässt. So beträgt diese bei Optionen auf den Euro Stoxx 50 auf Sicht von sechs Monaten noch immer 26 und sie liegt damit rund zwei Drittel über dem Wert unmittelbar vor dem Beginn der Corona-Krise. Der Optionsmarkt rechnet also auch zukünftig mit starken Schwankungen. Aus dieser hohen impliziten Volatilität resultieren attraktive Optionsprämien.

Fazit

Portfoliomanagement bedeutet immer, Entscheidungen treffen zu müssen, ohne eine hundertprozentige Sicherheit über das Eintreten bestimmter Ereignisse zu haben. Dieser Risikopuffer ist bei Direktinvestments in den breiten Aktienmarkt, zum Beispiel über entsprechende ETFs, derzeit nicht (USA) bzw. nur sehr begrenzt (Europa) zu finden. Wir sehen ihn aktuell aber nach wie vor bei intelligenten Stillhalterkonzepten.

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