Der Chef der Wiener Börse, Christoph Boschan, sieht in Österreich einen Zulauf zum Kapitalmarkt, fordert von der Politik aber weitere Maßnahmen zur Förderung der Wertpapierkultur. Die mittlerweile hohe Aktionärsquote habe man "trotz, nicht wegen des politischen Umfelds" erreicht, konstatierte er am Mittwoch bei der Pressekonferenz zur Jahresbilanz. Vor allem vor dem Hintergrund der grünen Transformation und der erforderlichen Kapitalgrundlage steige die Bedeutung der Anlage.

Laut Wiener Börse besitzt hierzulande mittlerweile jede vierte Person Aktien, ein Fünftel der Bevölkerung plant eine entsprechende Anschaffung. Es handle sich um eine erfreuliche Entwicklung, so Boschan, der die potenziell hohen Renditen für Sparerinnen und Sparer bei Streuung und Anlage über einen längeren Zeitraum hervorhob. Darauf dürfe man sich aber nicht ausruhen. Gefordert sieht er die Politik, welche die Investition in Aktien etwa auf dem Wege einer Abschaffung der Kapitalertragssteuer (KESt) bei längerer Behaltefrist attraktivieren könne und solle.

In eine ähnliche Kerbe schlug der Aufsichtsratsvorsitzende der Wiener Börse, Heimo Scheuch. Aktien zu kaufen und zu halten sei in der "Mitte der Bevölkerung angekommen", was wichtig für die Standortsicherung und die Bewältigung der Klimaveränderungen sei. In der grünen Transformation ortet Scheuch, der auch CEO des Baustoffkonzerns Wienerberger ist, "den größten Wandel in der neueren Geschichte". Für die Bewältigung des Umbruchs brauche es viel Geld, was der Politik einen Ansporn geben müsse, den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern.

Das vergangene Jahr bezeichnete Boschan aus Sicht der Börse als erfolgreich. 2022 legte der Aktienumsatz der Gruppe um 2,4 Prozent auf 87 Mrd. Euro zu. Der Konzernumsatz der Börsegruppe stieg um 0,9 Prozent auf 80 Mio. Euro. Das Ergebnis vor Steuern (EGT) blieb mit 47,30 Mio. Euro in etwa auf dem Niveau des Vorjahres (47,58 Mio. Euro).

Um diesen Erfolg abzusichern und den Wiener Börsenplatz weiter zu stärken, fasse man weitere Initiativen ins Auge, so der Manager. Derzeit arbeitet die Börse beispielsweise an dem digitalen Tool "FirstPlace", das privaten Anlegerinnen und Anlegern eine direkte Zeichnung bei Neuemissionen im Onlinebanking bieten soll. Als Partnerbanken haben sich bisher unter anderem die Raiffeisen-Gruppe, die Erste Bank, die Oberbank und die Wiener Privatbank angekündigt. Einen konkreten Zeithorizont für die Einführung des Tools erwähnte er nicht.

Mehr Bewegung erwartet sich Boschan in naher Zukunft bei Börsengängen. Neben dem zuletzt erfolgten Zugang der Austriacard und dem angekündigten Listing der Telekom-Austria-Ausgliederung gebe es derzeit weitere "konkrete Kandidaten", sagte Boschan. Namen nannte er keine.

Gefragt, ob in Österreich ähnliche Bilanzskandale wie jener um Wirecard unter Decke brodeln könnten, verwies Boschan auf die hohen Transparenzvorschriften an den Börsen. Wirecard sei ein "hervorragendes Beispiel für den Wert regulierter Märkte". Der Fall Wirecard sei bedauerlich, im außerbörslichen Bereich beobachte man ähnliche Vorfälle aber "in der Zehnerpotenz häufiger". Außerdem habe auch Deutschland seine Konsequenzen aus der Causa gezogen und die Regelwerke entsprechend angepasst.

tpo/cri

 WEB   http://www.wienerborse.at

Copyright APA. Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung von APA ist nicht gestattet.