Corona-Krise: Der Gender-Gap wächst
08.03.2021 | 10:00
Politologin Stefanie Wöhl (FH des BFI Wien) weist auf kritische Entwicklungen hinsichtlich der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern hin
Wien (OTS) - Das Leben in Corona-Zeiten macht die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern erneut deutlich. Frauen übernehmen in der Krise in einem sehr viel größeren Ausmaß als Männer wieder Aufgaben wie die Betreuung von pflegebedürftigen Familienmitgliedern, die Aufsicht über die Kinder im Homeschooling oder die Führung des Haushalts. Als Folge dessen ging auch die Erwerbstätigkeit von Frauen im Laufe des letzten Jahres zurück, und das, obwohl ein Großteil der systemrelevanten beruflichen Tätigkeiten ebenfalls vom weiblichen Teil der Bevölkerung geleistet wird.
Am heutigen Weltfrauentag steht die Gleichberechtigung von Frauen im Fokus. Vieles hat sich über die letzten Jahre bereits zum Positiven verändert, Themen wie Diversität und Gendergerechtigkeit sind in der Wahrnehmung der Gesellschaft deutlich gestiegen. Die COVID-19-Krise und ihre Begleiterscheinungen drängen viele Frauen jedoch wieder in „klassische“ Rollenbilder zurück.
Doppelbelastung: Homeoffice und Homeschooling
In der Pandemie verschärft sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: Meist sind es Frauen und Mütter, die in Krisenzeiten ihren Job zugunsten der Betreuungsaufgaben von abhängigen Familienmitgliedern und Kindern hintanstellen. Die Teilhabe von Frauen an (gut bezahlter) Erwerbsarbeit ist dadurch gesunken, gleichzeitig nahm die Mehrfachbelastung von berufstätigen Müttern aufgrund der durch den COVID-19-Virus bedingten Schul- und Kindergartenschließungen markant zu.
„Viele Studien belegen mittlerweile, dass unbezahlte Hausarbeit gerade für Frauen angestiegen ist und sie den überwiegenden Anteil an Homeschooling zu bewältigen haben, obwohl sie in einer Partnerschaft leben. Die COVID-19-Krise wirkt sich re-traditionalisierend auf die bestehende Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen aus“, erklärt Stefanie Wöhl, Professorin für Politikwissenschaften an der FH des BFI Wien. Die Politikwissenschaftlerin forscht, publiziert und lehrt seit 2003 zu Diversität und Gendergerechtigkeit und hält an der FH des BFI Wien den [Jean Monnet Chair]
(https://www.fh-vie.ac.at/de/seite/forschung/jean-monnet-chair)
„Diversity and Social Cohesion in the European Union". Dieser Lehrstuhl der Europäischen Kommission fördert Lehre und Forschung zur europäischen Integration aus einer Diversitätsperspektive und stärkt somit die Forschungs- und Lehrschwerpunkte „Geschlecht und Vielfalt“ an der FH des BFI Wien weiter.
Heldinnen der Krise
Ein Großteil der systemrelevanten Berufe in der Nahversorgung sowie im Gesundheitsbereich werden vom weiblichen Teil der Bevölkerung ausgeübt. „Viele Bereiche der Wirtschaft, die als systemrelevant verstanden werden und persönlichen Kontakt erfordern, sind stark von Frauen geprägt: Krankenhäuser, stationäre und mobile Pflege und Betreuung, der Lebensmitteleinzelhandel, Kindergärten und Schulen. Der Frauenanteil im Bereich der stationären Pflege liegt bei 81%, bei den mobilen Diensten sind es sogar 93%“, so Gender-Expertin Stefanie Wöhl.
Statistisch gesehen haben Finanz- und Wirtschaftskrisen negative Auswirkungen auf das Leben von Frauen: Nicht nur der Gender-Pay-Gap wächst, auch die Ungleichheiten im Privatleben werden verstärkt, da das weibliche Geschlecht oftmals die durch die Krise entstehenden Mehrfachbelastungen auffängt. Zugleich sind es vor allem Frauen, die durch vermehrte Gewalt in Privathaushalten, Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit eine besondere Last zu tragen haben.
Über Stefanie Wöhl
Stefanie Wöhl ist Professorin für Politikwissenschaft und hält den Jean Monnet Chair "Diversity and Social Cohesion in the European Union" im Studiengang Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung an der Fachhochschule des BFI Wien. Sie erhielt ihren Doktortitel von der Philipps-Universität Marburg, Deutschland, 2006 und war Mitarbeiterin in der dortigen DFG-Forschungsgruppe “Europäische Integration im Globalisierungsprozess” am Institut für Politikwissenschaft. Von 2006 bis 2011 war sie an der Universität Wien als Universitätsassistentin (post-doc) und Leiterin des Referats Genderforschung beschäftigt. Von 2011 bis 2013 war Stefanie Wöhl Visiting Research Fellow in der Einstein Forschungsgruppe “Krise der Demokratie” geleitet von Prof. Nancy Fraser an der FU Berlin. Sie hatte zwei Gastprofessuren an der Universität Wien (2013) und der Universität Kassel (2015) inne. Seit 2015 ist Stefanie Wöhl an der FH des BFI Wien beschäftigt und war 2015 bis 2018 Leiterin des “Stadt Wien Kompetenzteam für European and International Studies”.
Über die FH des BFI Wien
Die Hochschule mit starker internationaler Ausrichtung bietet mit zehn Bachelor- und sechs Master-Studiengängen – darunter zwei Bachelor- und drei Masterprogramme auf Englisch – ein umfassendes praxisorientiertes, wirtschaftswissenschaftliches Studienangebot mit Schwerpunkt Wirtschaft, Management und Finance an.
Rund 50% der Studierenden und 64% der berufsbegleitend Studierenden der Hochschule für Wirtschaft, Management und Finance sind weiblich. Der Frauenanteil in der Verwaltung liegt bei über 60%, in der Hochschulleitung sind 3 von 4 Mitgliedern Frauen. Seit 2017 ist die Fachhochschule des BFI Wien Mitglied des UN Global Compact und unterstützt mit ihrem Handeln die Sustainable Development Goals der UN, worunter u.a. auch Ziele zu Gender Equality gehören (siehe SDGs, Goal 5).