BÖRSE EXPRESS: Im vergangenen Jahr wurde in den USA mit 59 FDA-Zulassungen für Therapeutika ein neuer Allzeit-Rekord erreicht. Trotzdem konnten sich die US-Biotech-Titel der negativen Entwicklung an den Gesamtmärkten nicht ganz entziehen, wenngleich das Minus der entsprechenden Biotech-Indizes weniger groß ausfiel. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

MARIO LINIMEIER: Fundamental ist die Wachstumsstory von Biotechnologie-Unternehmen weiterhin intakt. Allerdings kann sich die Wertentwicklung von Biotechnologie-Aktien dem Gesamtmarkt nicht entziehen. Wenn der breite Markt korrigiert, hat dies mehr oder minder starke Auswirkungen auf alle Segmente. Eine Abkoppelung findet immer nur begrenzt statt. Dies gilt sowohl für die Biotechnologie-Branche als auch für andere Sektoren.

Zusätzlich wurde die Kurskorrektur an den Börsen durch computer-gestützte Trading-Automatismen weiter verstärkt. Einem Bericht von CNBC vom 5.12.18 zufolge waren 2018 circa 80 Prozent des täglichen Handelsvolumens in US-Aktien durch Algorithmen bedingt.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie lauten die Prognosen für die Zukunft des Biotech-Sektors in Bezug auf Wachstumsraten bei Branchenumsätzen und Anzahl der zugelassenen Medikamente?

MARIO LINIMEIER: Kaum eine Branche bietet langfristig orientierten Anlegern bessere Wachstumsperspektiven als der Biotechnologie-Sektor, der sich gegenwärtig in einem neuen Innovationszyklus befindet. Dieser sorgt für eine signifikante Erneuerung und Erweiterung des Arzneimittelangebots. Bis 2021 werden zwischen 40 bis 45 FDA-Neuzulassungen pro Jahr erwartet. Laut Branchenexperten wird der weltweite Umsatz verschreibungspflichtiger Medikamente von 830 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 auf 1,2 Billionen US-Dollar im Jahr 2024 steigen. Dies entspricht einer Wachstumsrate von 6,4 Prozent pro Jahr.

Zu den wichtigsten Wachstumsfeldern gehören Indikationen wie Krebs und seltene Erkrankungen. So soll sich das Umsatzvolumen von Orphan Drugs bis 2024 nahezu verdoppeln. Grund hierfür sind regulatorische und finanzielle Anreize, die es für Arzneimittelhersteller lukrativ machen, Medikamente für Nischenindikationen zu entwickeln.

 

BÖRSE EXPRESS: Was sind die Haupttreiber dieses Wachstums im Bereich innovativer Therapien?

MARIO LINIMEIER: Ein zentraler Treiber des aktuellen Biotech-Booms ist das wachsende Verständnis für die molekularen Entstehungsursachen von Krankheiten. Ist die Ursache einer Erkrankung bekannt, können Therapieansätze entwickelt werden, um gezielt in das Krankheitsgeschehen einzugreifen. Zielsetzung ist nicht die bloße Linderung von Symptomen, sondern die Entwicklung kausaler Behandlungsmethoden mit klarem Zusatznutzen – zum Beispiel Heilung oder verlängertes Überleben – für den Patienten. Neuartige, innovative Medikamente haben das Potenzial, einen neuen Therapiestandard zu etablieren, sodass weniger wirksame Altprodukte obsolet werden.

Einen medizinischen Durchbruch erleben wir beispielsweise auf dem Gebiet der Gentherapie. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat 2017 erstmalig drei neuartige Gentherapie-Ansätze zur Vermarktung freigegeben. Zuvor waren in den USA keine gentherapie-basierten Behandlungen zugelassen. Mit Hilfe der Gentherapie können etwa Immunzellen reprogrammiert werden, damit diese Krebs bekämpfen. Das Massachusetts Institute of Technology rechnet bis zum Jahr 2022 mit ungefähr 40 Neuzulassungen im Bereich der Gentherapie.

 

BÖRSE EXPRESS: Gibt es weitere Wachstumstreiber?

MARIO LINIMEIER: Neben dem medizinischen Fortschritt ist ein weiterer Wachstumstreiber des Gesundheitsmarktes der demographische Wandel. Die Weltgesundheitsorganisation WHO prognostiziert einen Anstieg des Anteils der Über-60-Jährigen in der Bevölkerung von zwölf auf 22 Prozent im Zeitraum von 2015 bis 2050. Neben der Überalterung nimmt gleichzeitig die Bedeutung von chronischen Krankheiten zu. Bis zum Jahr 2030 machen chronische Erkrankungen 66 Prozent der globalen Krankheitslast aus. Beide Entwicklungen führen zu einer stark steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen.

In den Schwellenländern sorgen die wachsenden Mittelschichten für zusätzlichen Nachfrageschub. Dort können sich jedes Jahr mehr Menschen eine bessere medizinische Versorgung leisten.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie beeinflusst die ständige Medikamentenpreisdiskussion in den USA den dortigen Sektor?

MARIO LINIMEIER: Die immer wieder neu entfachten Debatten zu Medikamentenpreisen belasten natürlich temporär die Aktienkurse von Arzneimittelherstellern. Eine Erosion der Preissetzungsmacht innovativer Arzneimittelhersteller ist aber nicht zu erwarten.

Wenn ein neues lebenserhaltendes Medikament entwickelt wird und auf den Markt kommt, ist es weitgehend preisunelastisch. Vereinfacht gesagt: Patienten, denen eine innovative Therapie hilft, wollen diese haben, egal, was es kostet. Wir sprechen hier ja nicht von milden Erkrankungen wie einer Erkältung, sondern von schwerwiegenden Krankheiten wie Krebs oder lebensbedrohlichen Stoffwechselstörungen.

Die Preisdiskussionen sind zudem fundamental unbegründet. Nur rund zehn Prozent der amerikanischen Gesundheitsausgaben entfallen auf Medikamente – bei der Erbringung von medizinischen Leistungen bestehen weitaus größere Einsparpotenziale. Zudem würden Preisdämpfungsmaßnahmen kontraproduktiv wirken, da sie Innovationen und den medizinischen Fortschritt behinderten. Daran ist niemanden gelegen.

 

BÖRSE EXPRESS: Wenn man von einem Investment in Biotech-Titel spricht, sind meist Aktien US-amerikanischer Unternehmen gemeint. Wie entwickelt sich dieser Sektor eigentlich in Europa, z.B. in Deutschland?

MARIO LINIMEIER: Im globalen Kontext sind die USA der mit Abstand wichtigste Gesundheitsmarkt. Die meisten Produktinnovationen werden in den Vereinigten Staaten entwickelt. Dies liegt unter anderem an forschungsstarken Research-Clustern und zahlreichen Risikokapitalgebern, die Jungunternehmen frühzeitig unterstützen.

Aber auch in Europa gibt es eine Reihe bedeutender Biotechnologie-Unternehmen wie etwa Genmab oder Morphosys, die einen großen Beitrag zum medizinischen Fortschritt leisten. In Deutschland mangelt es jedoch an Risikokapital. Deutsche Investoren sind deutlich risikoscheuer als US-Amerikaner. Es müsste sich in Deutschland ein Kulturwandel vollziehen, damit mehr Risikokapital zur Förderung von Jungunternehmen verfügbar ist.

 

BÖRSE EXPRESS: Warum investieren Sie in Ihrem Fonds MEDICAL BioHealth vor allen in Small und Mid Caps des Sektors?

MARIO LINIMEIER: Die überwiegende Mehrzahl der Biotech-Fonds ist indexorientiert und investiert den Großteil des verwalteten Vermögens in Large Caps. Jedoch ähneln große Biotech-Unternehmen zunehmend großen Pharma-Firmen und kämpfen vermehrt mit Patentabläufen und Umsatzverlusten.

Dagegen investiert der MEDICAL BioHealth, losgelöst von einem Vergleichsindex, in aussichtsreiche klein- und mittelkapitalisierte Healthcare-Werte, die durch die Entwicklung und Vermarktung von innovativen Präparaten ein hohes Wachstum generieren und deren Umsätze nicht durch Patentabläufe bedroht sind. Durch die Entwicklung von Medikamenten, die einen neuen Therapiestandard setzen können, haben Healthcare-Innovationsführer eine sehr hohe Preissetzungsmacht. Zudem begünstigt das derzeitige regulatorische Umfeld Neuproduktzulassungen.

 

BÖRSE EXPRESS: Warum glauben Sie, hat die von vielen erwartete erhöhte M&A-Aktivität im Vorjahr nicht eingesetzt bzw. womit rechnen Sie in 2019 und warum?

MARIO LINIMEIER: Ein zu Beginn des Vorjahres vielbesprochenes Thema waren die zu erwartenden Übernahmen, bedingt durch die US-Steuerreform, die sich 2018 noch nicht bewahrheiteten. Die durch Repatriierung und Steuererleichterungen verfügbaren Mittel wurden vornehmlich für Aktienrückkäufe genutzt.

Große Arzneimittelhersteller stehen weiterhin unter einem Innovationszwang und müssen Wachstum zukaufen. Das und die – nach der Kurskorrektur – günstigeren Bewertungen sprechen für zunehmende M&A-Aktivitäten. 2019 hat ja vielversprechend begonnen: So will Bristol-Myers Squibb das Biotechnologie-Unternehmen Celgene für 74 Milliarden US-Dollar übernehmen – das wäre einer der größten Deals in der Geschichte der Pharma-Industrie.

 

BÖRSE EXPRESS: Abgesehen von Biotech, welche anderen Sektoren im Healthcare-Bereich finden Sie für Investments interessant und warum?

MARIO LINIMEIER: In unserem Aktienfonds MEDICAL BioHealth sind wir außer im Biotech-Sektor noch in den Bereichen Emerging Pharma, Medizintechnik und Pharma investiert. Auch hier gibt es eine Reihe interessanter Produktinnovationen. So konzentriert sich beispielsweise das schnell wachsende, amerikanische Medtech-Unternehmen Atricure auf Produkte gegen Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern. Davon sind weltweit 17 Millionen Patienten betroffen. Die Atricure-Produkte werden in Bereichen eingesetzt, die von großen Medtech-Unternehmen bislang nur unzureichend abgedeckt sind. Der Gesamt-Umsatz soll von circa 200 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 auf mehr als 250 Millionen US-Dollar im Jahr 2020 steigen. Auch darüber hinaus wird über mehrere Jahre ein überdurchschnittliches Wachstum erwartet.