Der Automobilsektor befindet sich gerade in einer doppelten Transformation. Einerseits der Übergang von Diesel- und Benziner-PKW zu Elektromobilität und damit einhergehend ein zunehmend verändertes Mitarbeiterprofil von Ingenieuren zu Elektrotechnikern. Gleichzeitig nimmt auch die Bedeutung der Software für die Konsumenten zu, teils basiert die Kaufentscheidung für eine Marke bereits auf IT-Features, wie Navigationsoptionen. Dies wird mit den zunehmenden Optionen im Bereich des selbstfahrenden Automobils nochmals gravierend zunehmen.

Mit jeder strukturellen Veränderung bieten sich für neue Wettbewerber Nischen, die es zu besetzen gilt. Für bestehende Marktführer eine Herausforderung, müssen doch unter Umständen mehrere Technologien gleichzeitig beherrscht und im industriellen Maßstab umgesetzt werden. Kaum eine Branche ist davon ausgenommen.

In der Energieerzeugung werden zunehmend statt Gas, Kohle und Atomkraft, Technologien im Bereich der Windkraft, der Sonnenenergie und der Wasserstoff-Technologie an Bedeutung gewinnen.

Im Nahrungsmittelbereich wird zunehmend kritisch auf das den Fettgehalt von Fertiggerichten und Süßigkeiten geblickt, biologische Anbaumethoden stehen im Fokus. Zudem gewinnen Fleischersatzprodukte, bzw. sogar Tierersatzprodukte - zugegeben von geringer Basis - an Bedeutung. Dennoch dürfen die neuen Produktionsmethoden keineswegs unterschätzt werden. Ernstzunehmende Branchenexperten sehen für die Fleisch- und Milchproduktbranche durchaus das Potenzial einer Disruption. Da für die Mehrheit der Bevölkerung der Preis das entscheidende Kaufargument bei Lebensmitteln ist, können Fleischersatzprodukte große Marktanteile dann erzielen, wenn das „falsche Hühnchen“ günstiger als das Echte wird.

Im Telekommunikationsbereich werden gerade Milliarden investiert für den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur. Auch hier steht mit Starlink, dem satellitengestützten Internetnetz ein möglicher Disruptor in den Startlöchern.

In der Finanzbranche wird schon länger über die Zukunft von Banken diskutiert. Offensichtlich ist, dass Banken zunehmend die Kundenbeziehung im Zahlungsverkehr an Technologiefirmen, wie Apple-Pay, Paypal oder Visa verlieren. Auch im Kreditbereich nimmt die Kundenbindung durch Plattformen ab. Bekanntestes Beispiel sind die Immobilienkreditplattformen, wie Hypoport oder GruppoMutuiOnline. Im Vermögensanlagebereich haben sich Spezialisten wie Unabhängige Vermögensverwalter oder Private Equity Gesellschaften durchgesetzt. Dies wird durch ein mögliches Provisionsverbot, wie es zum Beispiel von der Europäischen Kommission diskutiert wird, nochmals verstärkt werden.

Aber auch defensive Geschäftsmodelle, wie diejenigen der Pharmaindustrie sind nicht vor Disruption gefeit. Zunehmend setzen sich Formen der personalisierten Medizin durch. Dies beginnt mit Immuntherapieverfahren, wo sich eine Kohorte von Biotechnunternehmen vor die gut finanzierten Forschungsabteilungen der großen Pharmariesen geschoben hat. Moderna und Biontech sind prominente Beispiele für Biotechnunternehmen, die den traditionellen Pharmaunternehmen mit neuartigen Technologien, wie mRNA, das Wasser abgraben. Der nächste Schritt wird dann im Bereich der Gentherapieverfahren zu vermuten sein.

Disruption ist für Anleger auch eine Herausforderung. Bei neuartigen Technologien verändern sich Marktgegebenheiten für Unternehmen gravierend. Bestes Beispiel ist die Öl- und Gas-Fracking-Technologie, die die Preissetzungsmacht des Öl-Kartells OPEC massiv gemindert hat.

Deshalb gilt der Wahlspruch von Altbörsianer Kostolany leider nur noch bedingt. Aktien kaufen und schlafen legen kann böse enden. Anleger und Anlegerinnen müssen die Technologiesprügen für die investierten Unternehmen im Auge behalten und gegebenenfalls auf aussichtsreiche „neue Wilde“ umsatteln. Wir leben in einer bewegten Welt mit tollen technologischen Fortschritten. Dies erfordert aber auch mehr Aktivität von Börsianern.

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Aus dem Börse Express PDF vom 24.11. hier zum Download