Kaum ein Thema hat die Versicherungsbranche in den letzten Jahren so fest im Griff wie das „ewige“ Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung. Vorgeworfen wird den Versicherungen, ihre Kunden bei Vertragsabschluss nicht oder fehlerhaft über deren Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt zu haben, wodurch diese unbefristet vom Vertrag zurücktreten könnten. Mittlerweile hat sich bereits der OGH mit einigen damit zusammenhängenden Rechtsfragen befasst und der Geltendmachung des „ewigen“ Rücktrittsrechts deutliche Schranken gesetzt. So zuletzt etwa in seiner Entscheidung vom 19.2.2020, 7 Ob 6/20p.

Beginn der Rücktrittsfrist als Belehrungsmangel?

Besagter Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin schloss im Jahr 2007 eine Lebensversicherung ab. Im Jahr 2018 trat sie gemäß § 165a VersVG vom Vertrag zurück. Dies unter anderem mit der Begründung, dass in der damaligen Rücktrittsbelehrung der beklagten Versicherung zu § 165a VersVG der Beginn der Rücktrittsfrist nicht ausreichend klar hervorginge. Die Rücktrittsbelehrung sah nämlich vor, dass der Versicherungsnehmer binnen 30 Tagen ab Zustandekommen des Vertrags zurücktreten kann. In dieser Formulierung vermeinte die Klägerin einen Fehler in der Rücktrittsbelehrung. Denn die zum Zeitpunkt des Vertragsabschluss geltende Gesetzesfassung des § 165a VersVG normierte, dass die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts „nach der Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags“ zu laufen beginnt. Aufgrund der Formulierung „ab Zustandekommen des Vertrags“ in der Rücktrittsbelehrung der Versicherung sei – so die Klägerin – nicht klar gewesen, ab welchem Zeitpunkt die Rücktrittsfrist nun tatsächlich in Gang gesetzt wird.

Mit gegenständlicher Entscheidung stellte der OGH nun einen bislang strittigen Punkt klar: Ist in der Rücktrittsbelehrung der Versicherung nur davon die Rede, dass die Rücktrittsfrist ab Zustandekommen des Vertrags beginnt, obwohl § 165a VersVG im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf die „Verständigung nach Zustandekommen des Vertrags“ abstellt, so ist darin zwar eine gesetzliche Abweichung zu sehen. Allerdings – und dies ist der so entscheidende Punkt in diesem Judikat – ist diese gesetzliche Abweichung schlichtweg unschädlich und kann nicht zu einem „ewigen“ Rücktrittsrecht führen.

Begründet wird dies mit dem allgemeinen Verständnis vom Zustandekommen von Rechtsgeschäften. Denn: Ein Versicherungsvertrag kommt, wie jedes andere Rechtsgeschäft auch, durch Angebot und Annahme zustande. Erst mit dem Zugang der Annahmeerklärung beim Angebotssteller ist der Vertrag wirksam. Füllt ein Versicherungsnehmer daher einen Versicherungsantrag (=Angebot) aus, so muss ihm schon nach allgemeinen Grundsätzen klar sein, dass sein Antrag auch eine Annahme durch seinen Vertragspartner erfordert und erst damit der Vertrag zustande kommt. Die Polizze, welche der Kunde nach Einreichen seines Antrags bei der Versicherung übermittelt erhält, ist demnach als wirksame Annahmeerklärung des Versicherungsantrags durch die Versicherung zu verstehen und gleichzeitig der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags. Demnach – so der OGH weiter – ist für den durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen Versicherungsnehmer der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags und damit auch der Beginn der Rücktrittsfrist mit Zugang der Annahme seines Antrags durch den Versicherer (also dem Zugang der Polizze) klar.

Dass eine erteilte Rücktrittsbelehrung insofern vom Gesetzestext des § 165a VersVG abweicht, als für den Beginn der Rücktrittsfrist auf das Zustandekommen vom Vertrag und nicht auf die Verständigung davon Bezug genommen wird, ist unschädlich, weil dem Versicherungsnehmer klar sein musste, ab welchem Zeitpunkt die Rücktrittsfrist in Gang gesetzt wird. Ein solcher „Fehler“ in der Rücktrittsbelehrung kann daher nicht zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht führen.

Rechtsansicht des OGH ist zutreffend

Unseres Erachtens ist der Rechtsansicht des OGH nur zuzustimmen. Denn auch in Fällen, in denen in der Rücktrittsbelehrung trotz gesetzlich anderslautender Formulierung ausschließlich auf den Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags für den Beginn der Rücktrittsfrist abgestellt wird, kann nur der allgemeine Grundsatz gelten, dass ein Vertrag erst durch Annahme des Antrags zustande kommt. Einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer darf auch ohne die Formulierung „ab Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags“ zugemutet werden, zu verstehen, dass sein Antrag erst mit Zugang der Polizze als abgeschlossen gilt. Vor Empfang der Polizze besteht für den Versicherungsnehmer auch kein Anlass dafür, bereits von einem Zustandekommen des Vertrags auszugehen. Das ergibt sich ja schon alleine aus dem Umstand, dass der Vertrag erst zustande kommt, wenn die Annahme (Polizze) in den Machbereich des Versicherungsnehmers gelangt. Somit markiert erst der Zugang der Polizze beim Versicherungsnehmer für diesen den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (und damit den Beginn der Rücktrittsfrist). In aller Regel wird der Versicherungsnehmer vom Versicherer außer der Polizze auch keine separate Verständigung über das Zustandekommen des Vertrags erhalten. Das braucht es auch gar nicht, weil die Übermittlung der Polizze nichts anderes als die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags ist.

Und schließlich lässt sich diese Ansicht auch mit der zuletzt ergangenen EuGH-Vorabentscheidung vom 19.12.2019 in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C -357/18 und C-479/18 begründen. Demnach beginnt die Rücktrittsfrist auch dann zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer durch die Rücktrittsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wurde, seinen Rücktritt im Wesentlichen unter den gleichen Bedingungen wie bei zutreffender Information auszuüben. In den besagten Fallkonstellationen wurde der Versicherungsnehmer über die wesentlichen Aspekte seines Rücktrittsrechts hinreichend klar informiert. Kein einziger Versicherungsnehmer wird nach Zugang der Polizze im Unklaren darüber gewesen sein, ob sein Antrag nun auch wirklich angenommen wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es – um in den Worten des EuGH zu sprechen – unverhältnismäßig, ein „ewiges“ Rücktrittsrecht zuzulassen, wenn der Versicherungsnehmer den Beginn der Rücktrittsfrist (Zugang der Polizze) ohnedies richtig verstanden hat.

Fazit

Die Entscheidung des OGH zeigt deutlich, dass die heimischen Gerichte nun vermehrt dazu tendieren, der Ausübung des „ewigen“ Rücktrittsrechts eindeutige Grenzen zu setzen. Nicht jede gesetzliche Abweichung in der Rücktrittsbelehrung darf zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht führen, wenn der Versicherungsnehmer die Voraussetzungen der Geltendmachung des Rücktrittsrechts bei Vertragsabschluss ohnedies richtig verstanden hat. Zudem zeigt der OGH aber auch klar auf, dass selbst einem Verbraucher das Wissen über allgemeine Grundsätze über das Zustandekommen eines Vertrags zugemutet werden darf.