BERLIN (dpa-AFX) - Entschieden wird wohl erst im September, doch die Debatte um ein drittes "Entlastungspaket" zur Dämpfung der Folgen der hohen Inflation hat am Wochenende weiter Fahrt aufgenommen. Während sich die Grünen zielgenauere Entlastungen für einkommensschwache Haushalte wünschen und dafür klimaschädliche Subventionen abbauen wollen, plädiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für Maßnahmen mit größerer Breitenwirkung. Die Union fordert ihrerseits Unterstützung für Unternehmen, die auf preisgünstige Energie angewiesen sind.

Entscheidend sei, dass an der Debatte über die Entlastungen auch diejenigen beteiligt würden, die am stärksten betroffen seien, sagte die Vizepräsidentin des Sozialverbandes Deutschland, Ursula Engelen-Kefer. "Genau deshalb erwarten wir, dass der Bundeskanzler schnell zu einem Sozialgipfel einlädt", fügte sie hinzu. In einer "so dramatischen Situation" müsse man auch dringend über das zeitweilige Aussetzen der Schuldenbremse und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sprechen. Beides lehnt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bislang ab.

Ein weiterer Vorschlag zur Finanzierung von Entlastungen kam von Grünen-Chef Omid Nouripour. Der Co-Vorsitzende sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Man muss bei der Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen auch über den Abbau klimaschädlicher Subventionen reden. Eine Reform des Dienstwagenprivilegs ist überfällig." Es gehe darum, Klimaeffekte in die Dienstwagenbesteuerung einzubauen und um Anreize für emissionsfreie Autos. Wer seinen Firmenwagen auch privat nutzen kann, hat einen sogenannten geldwerten Vorteil, der versteuert werden muss. Wird kein Fahrtenbuch geführt, liegt die Besteuerung bei monatlich pauschal einem Prozent des Bruttolistenpreises des Fahrzeugs. Die FDP lehnte Nouripours Vorschlag ab. Der Vorschlag sei Ausdruck einer Neiddebatte, sagte Fraktionsvize Christoph Meyer den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) räumte in einem am Samstag veröffentlichten Interview des Deutschlandfunks ein: "Richtig ist, dass jenseits der Transferempfänger es in Deutschland gar nicht so einfach ist, schnell zielgenau zu entlasten." Eine Maßnahme wie die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diese Woche angekündigte geplante Absenkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas von bisher 19 auf 7 Prozent sei nicht so zielgenau wie andere Maßnahmen" Deswegen brauche es ein Gesamtpaket. Dafür müsse der Blick auf diejenigen gerichtet werden, "die es besonders brauchen".

DGB-Chefin Yasmin Fahimi forderte die Bundesregierung zu spürbaren Entlastungen auf, nicht nur für sozial Bedürftige. Die Maßnahmen müssten in der Breite spürbar sein, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Die Regierung könne zwar keine "große Käseglocke" über alle stülpen. Doch der Druck zur Entlastung bei den Energiekosten bleibe hoch. Nötig sei "eine genauere Debatte" darüber, wer wie stark entlastet werde. Auch viele Menschen mit niedrigen Jahreseinkommen oder kleinen Renten hätten keine Reserven.

Scholz hatte das geplante neue Entlastungspaket am Donnerstag für die kommenden Wochen in Aussicht gestellt. Wie es genau aussehe, werde "vertrauensvoll in der Regierung" besprochen.

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner (CDU) sagte der Mediengruppe Bayern (Samstag), nach der Entscheidung über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas müsse die Regierung nun auch an Unternehmen denken, die angesichts hoher Energiepreise befürchten müssten, nicht mehr mit Angeboten aus dem Ausland mithalten zu können. "Arbeitsplätze werden abgebaut, Lieferketten und der Industriestandort Deutschland sind in Gefahr", warnte Klöckner. Sie erwarte von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), "dass er für die Unternehmen, die auf wettbewerbsfähige Energiepreise angewiesen sind, wirksame Maßnahmen ergreift". Dazu gehörten "die Absenkung der Stromsteuer" sowie Maßnahmen für einen niedrigeren Industriestrompreis.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte Habeck auf sicherzustellen, dass die Mehrwertsteuersenkung beim Gas auch an die Verbraucher weitergegeben wird. In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag) sprach sich Dürr zudem gegen weitere Entlastungen aus. Die Spielräume des Bundeshaushalts seien "begrenzt".

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte der Funke Mediengruppe in Richtung seines Parteifreundes Scholz, dessen Ansagen müssten "durch Taten konkretisiert werden"./abc/DP/mis

AXC0045 2022-08-21/15:14

Copyright dpa-AFX Wirtschaftsnachrichten GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung von dpa-AFX ist nicht gestattet.