Die Strudlhofstiege gehört zu den berühmtesten ungelesenen Büchern der Weltliteratur. Schade. Denn sie ist ein wahrhaftiges, ein großes Stück Weltliteratur. Sie entführt in die Tiefe der Jahre, die mehr ist als nur die Vergangenheit. Diese Tiefe hat immer etwas von einem Abgrund, einem Schlund, der die Leser, abstürzen lässt oder hineinzieht. Dieser Abgrund ist der Erste Weltkrieg, an dessen Kippe der Beginn des Romans steht und an dessen republikanischen Auswirkungen – den Abgrund quasi überspringend – wir uns im zweiten Teil des Romans befinden. Aber nur der Leser springt leichtfüßig. Der nachgeborene Leser. Doderers Strudlhofstiege handelt von jungen Menschen, die um eine Gegenwart ringen. Überlebende, die nicht wissen, dass ihr Überleben – zwangsläufig – in den nächsten Abgrund führt. Die Strudlhofstiege im 9. Wiener Bezirk ist mehr als nur der Mittelpunkt dieses Jahrhundertromans. Sie pirouettiert sich vom Vorher, vom scheinbar längst Vergangenen, in eine ungewisse, feindliche Gegenwart. Vielleicht ist sie ein Symbol: Sie wurde gebaut, um die "G’stetten" zu überwinden, die dort 1910 noch "geblüht" hat. Vielleicht wurde der Roman geschrieben, um die G’stetten zu überschreiben, die dieser Krieg in den Köpfen und Herzen der Menschen hinterlassen hat, die Heimito von Doderer in größter autobiografischer Selbstentäußerung in diesem Roman schildert. Wohin geht eine Welt, wenn sie untergeht? Wohin weicht ihr Urgrund? Oder härtet er vielleicht aus in den Menschen, die den Untergang durchleben? Ein scheinbar zeitloses Werk.