Europas Währungshüter treiben die Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie voran - inklusive der Sichtweise auf die Teuerungsrate. "Wir müssen die Kräfte, die heute die Inflationsdynamik antreiben, gründlich analysieren und überlegen, ob und wie wir unsere Strategie als Reaktion darauf anpassen sollten", sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, am Mittwoch bei einer Tagung in Frankfurt. "Wir sollten ein Inflationsziel haben, das glaubwürdig ist und das die Öffentlichkeit leicht verstehen kann."

Lagarde deutete an, dass die EZB Zeiten mit besonders niedriger Inflation dadurch ausgleichen könnte, dass sie zeitweise höhere Inflationsraten akzeptiere. Eine ähnliche Strategie hatte unlängst die US-Notenbank Fed neu eingeführt. Fachleute sehen als Folge des Richtungsschwenks eine noch längere Zeit mit extrem lockerer Geldpolitik in den USA.

Hauptziel der EZB ist ein ausgewogenes Preisniveau - im Jargon der Währungshüter: Preisstabilität. Seit 2003 definiert die Notenbank Preisstabilität mittelfristig bei einer jährlichen Teuerungsrate von "unter, aber nahe zwei Prozent". Allerdings liegt die Inflation im Euroraum seit geraumer Zeit deutlich unter dieser Zielmarke. Sollte sich die EZB zu einer ähnlichen Strategie entscheiden wie die Fed, würde sie die Inflation eine Zeit lang über die Marke von zwei Prozent steigen lassen.

Das Umfeld mit niedrigen Inflationsraten werfe einige neue Fragen bezüglich des Mittelfristziels auf, sagte Lagarde. "Zum Beispiel dürfte das Vorhandensein großer und anhaltender disinflationärer Schocks, die beispielsweise mit der Möglichkeit zusammenhängen, Preise über das Internet aktiver zu vergleichen (...), mehr Flexibilität erfordern."

Die EZB hatte Anfang dieses Jahres beschlossen, eine umfassende Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie auf den Weg zu bringen. Die Notenbank will dabei ihre Formulierung von Preisstabilität ebenso unter die Lupe nehmen wie das geldpolitische Instrumentarium und ihre gesamte Kommunikation. Bürger sind aufgerufen, sich online im Portal "Die EZB hört zu" zu Wort zu melden.

Mit einem Abschluss der Strategieüberprüfung rechnet Lagarde in der zweiten Jahreshälfte 2021. Ursprünglich war das Ziel, bis Ende des laufenden Jahres zu Ergebnissen zu kommen, doch die Corona-Pandemie bremste den Prozess./ben/bgf/zb

AXC0183 2020-09-30/11:33

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