Die Reiseverbote wegen der Coronavirus-Pandemie haben Lufthansa binnen weniger Wochen von einer profitablen Airline zu einem Pleitekandidaten gemacht. Die meisten Flugzeuge stehen seit Wochen am Boden, ohne eine kräftige Finanzspritze geht dem Kranich bald das Geld aus. Milliardenschwere Staatshilfen sind zwar in Sicht. Doch die EU-Kommission schießt quer, und dem Konzern droht der Abstieg aus dem Dax . Was bei Lufthansa los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht:

DAS IST LOS BEI LUFTHANSA:

Neun Milliarden Euro als Hilfe, aber auch Auflagen bei Umwelt, Dividenden und Vorstands-Boni: Seit Montag steht das staatliche Hilfspaket für Lufthansa - jedenfalls im Prinzip. Denn dem Plan muss erst noch die EU-Kommission zustimmen, ebenso der Aufsichtsrat und die Aktionäre des Unternehmens. Und dabei tun sich echte Hürden auf.

So lehnte es der Lufthansa-Aufsichtsrat am Mittwoch zunächst ab, dem von Vorstand und Bundesregierung ausgehandelten Hilfspaket zuzustimmen. Als prominenten Grund nannte das Unternehmen angekündigte Auflagen der EU-Kommission, die "eine Schwächung der Drehkreuzfunktion an den Heimatflughäfen der Lufthansa in Frankfurt und München zur Folge" hätten. Dem "Handelsblatt" zufolge will die Behörde Lufthansa aus wettbewerbsrechtlichen Erwägungen wertvolle Start- und Landerechte an ihren beiden Hauptstandorten wegnehmen.

Der Aufsichtsrat will nun erst einmal prüfen, welche wirtschaftlichen Folgen diese Auflagen für das Unternehmen hätten. Gleiches gelte für die vorgesehene Rückzahlung der Hilfsgelder und mögliche Alternativen. Die in dem Paket vorgesehene Stützung durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) betrachtet der Aufsichtsrat den Angaben zufolge aber weiterhin als "die einzig gangbare Alternative." Einen Termin für eine außerordentliche Hauptversammlung legte Lufthansa noch nicht fest.

Dabei tickt die Uhr. Denn trotz Kurzarbeit und Sparmaßnahmen verbrennt der Konzern laut Vorstandschef Carsten Spohr pro Stunde eine Million Euro, unter anderem für Leasingverträge und Kerosin-Vorauskontrakte. Das entspricht rund 800 Millionen Euro pro Monat. Zwar fahren Lufthansa und die Billigtochter Eurowings das Flugangebot mit Blick auf die erwarteten Lockerungen bei den Reisebeschränkungen wieder etwas hoch, was die Einnahme-Situation etwas verbessern dürfte. Doch die flüssigen Mittel schmelzen weiter dahin. In dem Konzern mit seinen rund 138 000 Beschäftigten stehen Zehntausende Arbeitsplätze auf der Kippe.

Anfang Mai hatte der Vorstand die Liquidität des Konzerns auf gut vier Milliarden Euro beziffert. Doch davon gehören 1,8 Milliarden Euro eigentlich den Kunden, die ihr Geld für stornierte Tickets noch nicht zurückbekommen haben. Der Vorstand sah zuletzt keine Chance mehr, dass sich das Unternehmen bei Banken oder am Kapitalmarkt genügend weiteres Geld beschaffen kann. Branchenexperte Per-Ola Hellgren von der Landesbank LBBW schätzte zuletzt, dass der Lufthansa ohne staatliche Hilfe im vierten Quartal das Geld ausgeht.

Nach wochenlangen Verhandlungen waren sich Vorstand und Bundesregierung am Montag über ein staatliches Hilfspaket einig geworden. Demnach soll der staatliche Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) stille Einlagen von insgesamt bis zu 5,7 Milliarden Euro in das Vermögen der Lufthansa AG leisten. Die Zinsen dafür sollen von anfangs 4 Prozent bis auf 9,5 Prozent steigen. Hinzu kommt ein Kredit in Höhe von bis zu 3 Milliarden Euro unter Beteiligung der Staatsbank KfW und privater Banken mit einer Laufzeit von drei Jahren.

Außerdem soll der WSF im Wege einer Kapitalerhöhung für 300 Millionen Euro neue Aktien zeichnen und damit eine Beteiligung von 20 Prozent am Grundkapital von Lufthansa erhalten. Das entspricht einem Preis von 2,56 Euro je Aktie - dem Nennwert der Papiere und einem Bruchteil des derzeitigen Aktienkurses. Zudem soll der WSF seinen Anteil am Grundkapital auf gut 25 Prozent erhöhen können, um eine feindliche Übernahme abzuwehren.

Im Gegenzug zu den Finanzhilfen soll Lufthansa vorläufig keine Dividenden mehr ausschütten dürfen. Die Bundesregierung soll zwei Sitze im Aufsichtsrat mit Experten besetzen, und die Vergütungen des Managements werden beschränkt. Außerdem verpflichtet sich der Konzern, seine Flotte mit verbrauchsärmeren Flugzeugen zu erneuern.

Der Bund will nach der Corona-Krise erst dann wieder bei der Lufthansa aussteigen, wenn es sich auch wirtschaftlich lohnt. Ziel sei mindestens ein kleiner Gewinn, der dem Staat auch helfen solle, die Corona-Hilfsmaßnahmen zu refinanzieren, hatte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gesagt.

Kompliziert wird die deutsche Lösung durch die geplante Stärkung des Eigenkapitals. Kredite und Garantien des französischen Staats für die Fluggesellschaft Air France hat die EU-Kommission bereits genehmigt. In Italien ist zudem die dauerklamme Alitalia nach etlichen Überbrückungskrediten vollständig verstaatlicht worden. Auch ein erster Staatskredit für die schweizerischen Lufthansa-Töchter Swiss und Edelweiss fließt bereits, und für die Töchter Austrian und Brussels verhandelt der Vorstand mit den entsprechenden Staatsregierungen.

Europas größter Billigflieger Ryanair möchte den Einstieg des Staats bei der Lufthansa am liebsten verhindern. "Es ist zutiefst ironisch, dass die deutsche Regierung, die alle anderen EU-Länder über die Einhaltung der EU-Vorschriften belehrt, keine Hemmung hat, die Vorschriften über staatliche Beihilfen zu brechen, wenn es um die Lufthansa geht", sagte Ryanair-Chef Michael O'Leary und kündigte an, gegen dieses Beispiel "rechtswidriger staatlicher Beihilfen" vorzugehen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Lufthansa-Aktionäre befinden sich mit den Anteilsscheinen des Konzerns schon seit Jahren auf einer Achterbahnfahrt. Im Jahr 2017 rund um die Pleite de einst größten heimischen Rivalen Air Berlin war es für die Papiere steil nach oben gegangen - bis auf den historischen Höchstwert von 31,26 Euro Anfang 2018. Seitdem führte ihr Weg im Großen und Ganzen nur noch abwärts. Denn die Erwartung von Anlegern, dass der Konzern nach der Übernahme großer Teile von Air Berlin die Ticketpreise in seiner Heimat bestimmen könnte, erwies sich angesichts der Konkurrenz von Billigfliegern wie Ryanair und Easyjet als Illusion.

Schon Ende 2019 wurden die Papiere mit gut 16 Euro nur noch gut halb so hoch gehandelt wie zur Zeit ihres Rekordhochs. Nachdem die Corona-Krise im Februar die Finanzmärkte erfasste und die weltweiten Reisebeschränkungen den Passagierflugverkehr binnen weniger Wochen fast zum Erliegen brachten, ging es für die Lufthansa-Aktien Ende April bis auf 7,02 Euro n den Keller.

Die vorläufige Einigung auf ein Rettungspaket und die Aussicht auf einen vorsichtigen Neustart des Flugverkehrs in Europa ließ den Kurs zuletzt aber wieder kräftig steigen. Am Mittwoch überschritt er zeitweise sogar wieder die Marke von 10 Euro. Trotz der Ankündigung des Aufsichtsrats, das Rettungspaket noch einmal zu überdenken, ging die Aktie am Abend noch mit einem leichten Plus auf 9,268 Euro aus dem Handel.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Bei den Branchenexperten klaffen die Meinungen über die künftige Entwicklung der Lufthansa-Aktie weit auseinander. Wird sich ihr Kurs absehbar auf 18 Euro verdoppeln, wie Analyst Jarrod Castle von der schweizerischen Großbank UBS schätzt? Oder dürfte er im Zuge der Rettung durch den Staat und der damit verbundenen hohen Zinslast eher auf 50 Cent zusammenfallen, wie es Mark Manduca von der US-Bank Citigroup schon Ende März prophezeit hat?

Die in dem Rettungspaket vorgesehene Kapitalspritze von insgesamt sechs Milliarden Euro übersteigt jedenfalls die Summen, die Experten noch vor wenigen Wochen erwartet hatten. Zwar überraschten die jüngsten Details des Rettungspakets Analysten zu Wochenbeginn eher positiv. Als Argument, jetzt Lufthansa-Aktien zu kaufen, betrachten das aber nur wenige.

Von den 13 im dpa-AFX Analyser erfassten Branchenexperten, die ihre Einschätzungen seit Beginn der Corona-Krise erneuert haben, empfehlen nur zwei den Einstieg bei Europas größtem Luftverkehrskonzern. Vier raten zum Halten der Papiere, und eine knappe Mehrheit von sieben plädiert für einen Absprung.

Zu den wenigen Optimisten gehört Analyst Daniel Roeska von Bernstein Research. Zwar hat auch er sein Kursziel für die Lufthansa-Aktie kürzlich auf zehn Euro gekappt. Die Bedingungen des Rettungspakets seien aber letztlich etwas besser ausgefallen als von ihm erwartet, urteilt er und schreibt der Aktie mit der Einstufung "Outperform" weiteres Potenzial zu.

"Das vorgesehene Rettungspaket verschafft der Lufthansa ausreichend Luft", urteilt Wolfgang Donie von der NordLB. "Da es lange dauern wird, bis das Vorkrisenniveau im Luftverkehr wieder erreicht sein wird, ist das Paket aber Segen und Fluch zugleich." So warnt Jaime Rowbotham von der Deutschen Bank, dass die Fluggesellschaft nach der Corona-Krise auf einem hohen Schuldenberg sitzen wird. Er sagt dem Aktienkurs einen deutlichen Sinkflug auf 5,70 Euro voraus.

Noch düsterer zeichnete Analystin Ruxandra Haradau-Doser vom Analysehaus Kepler Cheuvreux die Zukunft. So könne die Airline die milliardenschweren Staatshilfen bestenfalls mittelfristig zurückzahlen. Sie schätzt, dass der Aktienkurs auf nur noch zwei Euro zusteuert - das wäre weniger als der Nennwert der Papiere.

Experten rechnen jetzt damit, dass die Lufthansa ihren Platz im deutschen Leitindex Dax verliert. Seit jüngstem sieht auch die Landesbank Baden-Württemberg das Unternehmen auf einem "Fast-Exit"-Platz. Zuvor hatten bereits das Bankhaus Oddo Seydler und die Commerzbank anhand der letzten Rangliste vom April Ähnliches gemutmaßt. Die Lufthansa gehört zu den Dax-Mitgliedern der ersten Stunde. Die nächste außerordentliche Dax-Überprüfung findet am 4. Juni statt. Sollte es zu einem Austausch kommen, würde dieser zum 22. Juni stattfinden./stw/eas/he

 ISIN  DE0008232125

AXC0092 2020-05-28/08:35

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