Müssen wir einen Showdown befürchten? (Rolf Ehlhardt)
13.11.2023 | 16:34
Die Inflation ist ... aufgrund der „Überliquidität“ seit 2011 im Jahr 2021 ausgebrochen. Pandemie und Ukraine haben die Entwicklung verstärkt, sie werden aber gerne als Ursachen hingestellt.
Wir leben aktuell in einer Zeit, in der sich vieles ändert bzw. ändern soll. Klimawandel, Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz sind heute die Themen. Sicher tragen die Inhalte dieser Schlagworte zu den Entwicklungen der Börsen bei. Noch wichtigere (zumindest für die Kapitalmärkte) Wendepunkte haben bereits stattgefunden:
Die Zins- und die Inflationswende.
Sie sind auch das Ergebnis leichtfertiger Geldpolitik. Die Notenbanken haben in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts die Märkte mit Geld überschwemmt. Die Manipulation der Zinsen in Richtung Null hat zunächst einen Wirtschaftsboom ausgelöst. Die Konsumenten konnten über billige Kredite ihren Wohlstand durch vorgezogenen Konsum aufbessern und sich auch den Traum vom Eigenheim erfüllen, da selbst recht teuer gewordene Immobilien bei Zinsen unter zwei Prozent finanzierbar waren. Aber jede Medaille hat zwei Seiten. Es ist nichts so gut, dass es nicht auch negative Wirkungen zeigt. Kommt jetzt auch die Kapitalmarktwende?
Die verantwortungslose Gelddruckerei hat zunächst die gravierende Mehrverschuldung von Staat, Unternehmen und Privaten ausgelöst. In den USA beispielsweise haben sich die Staatsschulden in den letzten zehn Jahren verdoppelt (von 16,7 auf ca. 33,6 Bill.). Auch Deutschlands Verbindlichkeiten (incl. der etwa 29 „Sondervermögen“, die in Wahrheit Schulden/ Schattenhaushalte sind) machen inzwischen fast 100 Prozent des BIP aus.
Die deutschen Bürger merken auch am Geldbeutel, dass die Energiewende zum Fiasko statt zum „Grünen Wirtschaftswunder“ verkommen ist. Steigende Zinsen wirken wegen der Schulden auf Höchstniveau deutlich schmerzhafter als noch vor zehn oder gar 40 Jahren. Aufgrund der massiv gestiegenen Geldmengen ist in 2021 die Inflationswende eingetreten. Nachdem die Notenbanken zunächst die steigende Geldentwertung als „vorübergehend“ oder als „Buckel“ abgetan haben, mussten sie in 2022 ihre erneute Fehleinschätzung erkennen und reagierten mit der Zinswende. Die amerikanische Fed erhöhten die Zinsen viel zu spät und die EZB noch später.
Erklärungen wie von Christine Lagarde „Die Inflation kam aus dem Nichts“ zeigten die Überforderung der Verantwortlichen. Nun „drohen“ sie damit, die Zinsen weiter zu erhöhen, oder belassen sie auf hohem Niveau, obwohl schon klare Bremsspuren in der Wirtschaft erkennbar sind. Die Geldmengen stagnieren bzw. gehen zurück, was ebenso auf eine Wirtschaftsberuhigung hindeutet wie die inverse Zinsstruktur. Sie riskieren jetzt einen Overkill. Das Vertrauen in die Währungshüter ist derzeit auf ein absolutes Tief gesunken.
Zu hohe Inflation, zu hohe Zinsen, Demographie, Krieg in Europa, Krieg um Israel, der Trend „Abkehr vom US-Dollar“, Bildung von geopolitischen Allianzen (BRICS-Staaten) sind beängstigende Entwicklungen. Es gibt berechtigte Zweifel, ob die Notenbank-Chefs/innen diesen anspruchsvollen Herausforderungen gewachsen sind. Sie glauben, dass mit Zinserhöhungen die Inflation wieder von selbst verschwindet. Dieser Glaube ist nicht nur naiv, sondern brandgefährlich.
Direkt getroffen haben die gestiegenen Zinsen den Immobilienmarkt. Produktfirmen melden vermehrt Konkurs an. Das Neugeschäft der Baufinanzierungen ist massiv rückläufig. Verschärft durch die Preissteigerungen bei Baumaterialien und dem neuen Heizungsgesetz der Ampel. Bei betroffenen Immobilien sind die Verkehrswerte schon bis zu 30 Prozent eingebrochen. Aber ein unkalkulierbarer Sturm kommt auf die finanzierten Bestandsimmobilien zu. Seit November 2014 lagen die Kreditzinsen unter zwei Prozent. Das bedeutet, dass damalige zehnjährige Zinsbindungen ab nächstes Jahr prolongiert werden müssen. Zum derzeit verdoppeltem Bauzins. Bleiben die Zinsen auf diesem Niveau, dürften einige Hausbesitzer ihre Immobilie verkaufen müssen. Niedrige Finanzierungen zu unter 1,5 Prozent oder gar unter ein Prozent erfolgten bis ins Jahr 2021, so dass die Probleme ab 2031 auftreten werden. Diese werden sogar noch verschärft, wenn ab 2029 die 15-jährigen Zinsfestschreibungen verlängert werden müssen.
Aber auch der Bund wird merkbar getroffen. Der Aufwand für Zinsen ist um 411 Prozent!!! angestiegen. Höhere Schulden, höhere Zinsen und die Inflationsgeschützten Anleihen vom damaligen Finanzminister Scholz reißen ein Riesenloch in den Etat. Auch die Gemeinden jammern. Das Finanzierungsloch ist im ersten Halbjahr auf 7,3 Mrd. gestiegen, nach 1,6 Mrd. im Vorjahr. Hier schlagen die Erhöhung des Bürgergeldes, Aufnahme von Flüchtlingen, vor allem aus der Ukraine und die höheren Lohnabschlüsse, einschließlich des Inflationsausgleichs zu Buche.
Die Inflation ist - volkswirtschaftlich gesehen - folgerichtig aufgrund der „Überliquidität“ seit 2011 im Jahr 2021 ausgebrochen. Pandemie und Ukraine haben die Entwicklung verstärkt, sie werden aber gerne als Ursachen hingestellt. Die Presse unterstützt diese Meinungsbildung. In den politischen TV-Talkshows bekommen Politiker eine Plattform, um ihre Misspolitik sogar als Erfolg zu „verkaufen“. Menschen „aus dem Volk“ kommen nicht zu Wort. Die Überschriften wie „Inflation fällt auf unter drei Prozent sind „Enten“. Die Geldentwertung fällt nicht, sie wächst auf dem schon erreichten Niveau (addiert von ca. 18 Prozent in drei Jahren) nur etwas schwächer weiter. Auch hier fällt das Vertrauen ins uferlose. Immer mehr Protagonisten und Propagandisten kommen an die Macht bzw. bestimmen die Themen.
Bei einem weiteren Entzug der künstlichen Geld-Stimulanz werden die Fehlallokationen immer mehr schonungslos aufgedeckt. Sie werden dann irgendwann in Form von schmervollen Kurseinbrüchen, fallenden Verkehrswerte bei Immobilien, massiv ansteigenden Insolvenzen und einer tiefen Rezession wieder bereinigt, begleitet von einem deutlichen Rückgang des Wohlstands. In einer Zeit höchster Verschuldung liegt die Gefahr eines „Showdown“ auf der Hand. Wie hat Warren Buffett einmal gesagt: Erst wenn die Flut zurückgeht, sieht man, wer nackt gebadet hat.
Beim Aufkommen solcher systemischen Probleme bleibt den Zentralbanken nur ein Mittel: Liquidität zur Verfügung stellen (=Geld drucken). Es ist zu befürchten, dass, je länger und tiefer die Finanz- und Immobilienmärkte fallen, umso aggressiver und verzweifelter werden die Reaktionen der Notenbanken ausfallen. Dies wäre aber andererseits die Basis für ein weiteres, höheres Ansteigen der Inflation, und zwar auf dem schon heute viel zu hohem Level. Daraus erwächst ein neues, noch gravierenderes Problem. Entgegen der Notenbankpolitik könnten die langfristigen Zinsen kräftig steigen, weil durch noch höhere Inflation und massiv steigenden Risiken niedere Zinsen nicht mehr akzeptiert werden. Da ist die Angst um unser Geld nicht mehr weit. Die Nachfrage nach Gold steigt.
Der Goldpreis in US-Dollar hielt sich trotz der Zinsanstiege und dem damit verbundenen steigenden Realzins extrem stabil (nur ca. 3,0 Prozent unter Höchstkurs). Vielleicht rechnet „er“ schon damit, dass die restriktive Notenbankpolitik scheitern wird. In diversen anderen Währungen hat Gold schon ein Allzeithoch gemacht. Ein Vorbote für einen Ausbruch auch im Dollar. Die jüngste „Langweiligkeit“ des Goldkurses war vielleicht die letzte Möglichkeit, sich „in aller Ruhe“ zu heutigen Preisen einzudecken. Der Israel-Konflikt hat wieder einmal gezeigt, dass bei Ausbruch einer Krise Gold als Krisenanlage gesucht wird. Bei den Investoren hat sich eine Art „Anlegerwende“ gebildet. Während westliche Anleger ihre Goldbestände reduzieren (siehe Spider Gold Trust), haben östliche Notenbanken ihre Bestände deutlich auf- und ausgebaut. Diese sind sicherlich „starke Hände“, die strategisch gekauft haben, und die sicher nicht nur nichts verkaufen, sondern weiter ihre Bestände aufstocken werden. Besonders dann, wenn das Ziel sein soll: Eine goldgedeckte Zahlungseinheit der BRICS-Staaten. Diese bekommen mit unter anderen Ägypten, Iran und Saudi-Arabien Anfang 2024 attraktiven Zuwachs. Weitere Kandidaten sind Argentinien, Kuwait, Indonesien und Thailand.
Diesen und weitere Vermögensverwalter mit Meinungen und Anlagestrategien finden Sie auf www.v-check.de.
Aus dem Börse Express PDF vom 13.11.2023
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