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10.10.2019 | 20:00
Börsen-Zeitung: Flucht mit dem Aufzug / Kommentar zum Umbau bei
Thyssenkrupp von Christoph Ruhkamp
Frankfurt (ots) - Wenn ein Feuer ausbricht, sollte man nicht den
Aufzug für die Flucht verwenden. Bei Thyssenkrupp ist es umgekehrt.
Der Konzern nimmt ihn, weil er das Geld aus dem geplanten Verkauf der
Kernsparte für Aufzüge dringend braucht, um die Bilanz in Ordnung zu
bringen und den Umbau zu einem wettbewerbsfähigen Unternehmen zu
finanzieren.
Die neue Vorstandschefin Martina Merz, eine konservative
Alemannin, die gern Lederjacke trägt, bezeichnet sich selbst als
"rustikal", also ländlich-robust. Sie weiß als erfahrene ehemalige
Bosch-Managerin, dass die schwache Bilanz die Zukunft von
Thyssenkrupp gefährdet: Jedes Jahr muss der Konzern 500 Mill. Euro an
Pensionen zahlen. Allein für die zentrale Verwaltung im Hauptquartier
in Essen gibt das Unternehmen jedes Jahr 370 Mill. Euro aus. Somit
liegen allein die Fixkosten bei fast 1 Mrd. Euro. Obendrauf kommt
außer der Reihe aller Voraussicht nach noch vor dem Jahresende eine
Kartellstrafe von ungefähr 350 Mill. Euro für Absprachen bei
Stahlpreisen. So viel müsste erst einmal hereinkommen, so viel kommt
aber nicht herein: Der Mittelabfluss beträgt mehr als 1 Mrd. Euro.
"Plan A", um aus dieser gefährlichen Situation herauszukommen, ist
der Börsengang der Aufzugssparte, den Deutsche Bank, Goldman Sachs
und J.P. Morgan fleißig vorbereiten. Der Börsengang - das weiß der
seit acht Monaten amtierende Finanzvorstand Johannes Dietsch als
Ex-Bayer-Mann genau - hat einen großen Vorteil gegenüber dem
Komplettverkauf an Finanzinvestoren: Wenn Thyssenkrupp ungefähr ein
Viertel der Anteile an Börseninvestoren ausreicht, kann der Konzern
die Tochtergesellschaft mit ihren stetigen und gut im Voraus
berechenbaren Erträgen sowie geringen Schulden weiter voll
konsolidieren.
Der operative Gewinn des Konzerns sieht dann gegenüber den
Ratingagenturen besser aus und erlaubt eine höhere Verschuldung - und
trotzdem eine gute Bonitätsnote. Angestrebt wird Investment Grade
anstatt Ramschniveau. Mit dem Emissionserlös, der für 25% der Anteile
bei 4 Mrd. Euro liegen würde, könnte Thyssenkrupp einen Teil der
bilanzierten Pensionslasten von 8 Mrd. Euro ausfinanzieren, die
Nettoschulden von 5 Mrd. Euro teilweise zurückführen und die
Restrukturierung mit dem Abbau von 6.000 Stellen finanzieren. Für die
Zukunft bliebe ein Dividendenstrom der Aufzugstochter.
Das alles könnte der bilanzielle Befreiungsschlag werden. Doch vom
operativen Befreiungsschlag in den seit vielen Jahren wurschtelnden
Geldverbrennersparten ist noch nicht allzu viel zu sehen.
(Börsen-Zeitung, 11.10.2019)
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