Börsen-Zeitung: Flucht mit dem Aufzug / Kommentar zum Umbau bei

Thyssenkrupp von Christoph Ruhkamp

Frankfurt (ots) - Wenn ein Feuer ausbricht, sollte man nicht den

Aufzug für die Flucht verwenden. Bei Thyssenkrupp ist es umgekehrt.

Der Konzern nimmt ihn, weil er das Geld aus dem geplanten Verkauf der

Kernsparte für Aufzüge dringend braucht, um die Bilanz in Ordnung zu

bringen und den Umbau zu einem wettbewerbsfähigen Unternehmen zu

finanzieren.

Die neue Vorstandschefin Martina Merz, eine konservative

Alemannin, die gern Lederjacke trägt, bezeichnet sich selbst als

"rustikal", also ländlich-robust. Sie weiß als erfahrene ehemalige

Bosch-Managerin, dass die schwache Bilanz die Zukunft von

Thyssenkrupp gefährdet: Jedes Jahr muss der Konzern 500 Mill. Euro an

Pensionen zahlen. Allein für die zentrale Verwaltung im Hauptquartier

in Essen gibt das Unternehmen jedes Jahr 370 Mill. Euro aus. Somit

liegen allein die Fixkosten bei fast 1 Mrd. Euro. Obendrauf kommt

außer der Reihe aller Voraussicht nach noch vor dem Jahresende eine

Kartellstrafe von ungefähr 350 Mill. Euro für Absprachen bei

Stahlpreisen. So viel müsste erst einmal hereinkommen, so viel kommt

aber nicht herein: Der Mittelabfluss beträgt mehr als 1 Mrd. Euro.

"Plan A", um aus dieser gefährlichen Situation herauszukommen, ist

der Börsengang der Aufzugssparte, den Deutsche Bank, Goldman Sachs

und J.P. Morgan fleißig vorbereiten. Der Börsengang - das weiß der

seit acht Monaten amtierende Finanzvorstand Johannes Dietsch als

Ex-Bayer-Mann genau - hat einen großen Vorteil gegenüber dem

Komplettverkauf an Finanzinvestoren: Wenn Thyssenkrupp ungefähr ein

Viertel der Anteile an Börseninvestoren ausreicht, kann der Konzern

die Tochtergesellschaft mit ihren stetigen und gut im Voraus

berechenbaren Erträgen sowie geringen Schulden weiter voll

konsolidieren.

Der operative Gewinn des Konzerns sieht dann gegenüber den

Ratingagenturen besser aus und erlaubt eine höhere Verschuldung - und

trotzdem eine gute Bonitätsnote. Angestrebt wird Investment Grade

anstatt Ramschniveau. Mit dem Emissionserlös, der für 25% der Anteile

bei 4 Mrd. Euro liegen würde, könnte Thyssenkrupp einen Teil der

bilanzierten Pensionslasten von 8 Mrd. Euro ausfinanzieren, die

Nettoschulden von 5 Mrd. Euro teilweise zurückführen und die

Restrukturierung mit dem Abbau von 6.000 Stellen finanzieren. Für die

Zukunft bliebe ein Dividendenstrom der Aufzugstochter.

Das alles könnte der bilanzielle Befreiungsschlag werden. Doch vom

operativen Befreiungsschlag in den seit vielen Jahren wurschtelnden

Geldverbrennersparten ist noch nicht allzu viel zu sehen.

(Börsen-Zeitung, 11.10.2019)

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