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22.08.2019 | 20:31
Börsen-Zeitung: Gratwanderung, Kommentar zu Thyssenkrupp von Christoph
Ruhkamp
Frankfurt (ots) - Zwei Monate nach der Entscheidung aus Brüssel
zieht Thyssenkrupp gegen das Veto der EU-Kartellwächter zur
Stahlfusion mit dem indischen Tata-Konzern vor das Gericht der
Europäischen Union. Die Kommission habe bei ihrer
wettbewerbsrechtlichen Beurteilung "erstmalig eine so enge
Marktabgrenzung vorgenommen, dass sie den Rahmen des geltenden
Wettbewerbsrechts über Gebühr ausdehnt". Zudem habe die Kommission
die Bedeutung von Importen nach Europa nicht angemessen
berücksichtigt. Befürchtet wurden in Brüssel Preisanstiege für
Verpackungsstahl wegen der Marktstellung der Weißblech-Tochter
Rasselstein und für feuerverzinkte Bleche in der Autoindustrie.
Thyssenkrupp-Chefjurist Donatus Kaufmann rechnet nicht damit, dass
der Konzern auf dem Weg der Klage die Fusion doch noch durchsetzen
kann. Er misst der Klage, die in der ersten Instanz zwei bis drei
Jahre in Anspruch nehmen dürfte, aber grundsätzliche Bedeutung zu -
auch für künftige Transaktionen des Konzerns. Das Gericht wird
darüber entscheiden, ob die Kartellwächter auf der Basis des
geltenden Rechts ihren Ermessensspielraum nur ausgeschöpft oder ob
sie die Grenzen des Ermessens überschritten und falsch entschieden
haben.
Somit wird es um viele Details der Entscheidung gehen - etwa
darum, ob das Zusagenpaket von Thyssenkrupp nicht doch ausreichend
war. Ob die EU-Kommission zu Recht verlangte, dass ein Erwerber von
Unternehmensteilen Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette
haben müsste. Diese Auflage zu erfüllen war dem Konzern nicht
möglich. Dafür hätte er im Extremfall einen Hochofen vom Rest des
Stahlwerks trennen müssen.
Daneben gibt es aber eine politische Ebene des Streits. Dann geht
es um die Frage, ob kartellrechtliche Entscheidungen die Position der
europäischen Industrie im globalen Wettbewerb mit Konzernen aus
nicht-marktwirtschaftlichen Ländern wie China berücksichtigen
sollten. Schließlich geht es bei Stahl um ein weltweit gehandeltes
Gut. Tatsächlich sollte deshalb wohl nicht nur Europa als der
relevante Markt angesehen werden. Die richtige Abgrenzung zu treffen,
ist in jedem Kartellfall eine schmale Gratwanderung.
Doch kann es nicht Aufgabe der Kartellwächter sein,
Wirtschaftspolitik zu betreiben. Mit ihren Entscheidungen sollen sie
nicht dazu beitragen, dass europäische Champions entstehen können.
Das müsste die Politik tun. Ihre Aufgabe ist es, die Verbraucher vor
Preisanstiegen wegen mangelnden Wettbewerbs zu schützen.
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