Börsen-Zeitung: Gratwanderung, Kommentar zu Thyssenkrupp von Christoph

Ruhkamp

Frankfurt (ots) - Zwei Monate nach der Entscheidung aus Brüssel

zieht Thyssenkrupp gegen das Veto der EU-Kartellwächter zur

Stahlfusion mit dem indischen Tata-Konzern vor das Gericht der

Europäischen Union. Die Kommission habe bei ihrer

wettbewerbsrechtlichen Beurteilung "erstmalig eine so enge

Marktabgrenzung vorgenommen, dass sie den Rahmen des geltenden

Wettbewerbsrechts über Gebühr ausdehnt". Zudem habe die Kommission

die Bedeutung von Importen nach Europa nicht angemessen

berücksichtigt. Befürchtet wurden in Brüssel Preisanstiege für

Verpackungsstahl wegen der Marktstellung der Weißblech-Tochter

Rasselstein und für feuerverzinkte Bleche in der Autoindustrie.

Thyssenkrupp-Chefjurist Donatus Kaufmann rechnet nicht damit, dass

der Konzern auf dem Weg der Klage die Fusion doch noch durchsetzen

kann. Er misst der Klage, die in der ersten Instanz zwei bis drei

Jahre in Anspruch nehmen dürfte, aber grundsätzliche Bedeutung zu -

auch für künftige Transaktionen des Konzerns. Das Gericht wird

darüber entscheiden, ob die Kartellwächter auf der Basis des

geltenden Rechts ihren Ermessensspielraum nur ausgeschöpft oder ob

sie die Grenzen des Ermessens überschritten und falsch entschieden

haben.

Somit wird es um viele Details der Entscheidung gehen - etwa

darum, ob das Zusagenpaket von Thyssenkrupp nicht doch ausreichend

war. Ob die EU-Kommission zu Recht verlangte, dass ein Erwerber von

Unternehmensteilen Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette

haben müsste. Diese Auflage zu erfüllen war dem Konzern nicht

möglich. Dafür hätte er im Extremfall einen Hochofen vom Rest des

Stahlwerks trennen müssen.

Daneben gibt es aber eine politische Ebene des Streits. Dann geht

es um die Frage, ob kartellrechtliche Entscheidungen die Position der

europäischen Industrie im globalen Wettbewerb mit Konzernen aus

nicht-marktwirtschaftlichen Ländern wie China berücksichtigen

sollten. Schließlich geht es bei Stahl um ein weltweit gehandeltes

Gut. Tatsächlich sollte deshalb wohl nicht nur Europa als der

relevante Markt angesehen werden. Die richtige Abgrenzung zu treffen,

ist in jedem Kartellfall eine schmale Gratwanderung.

Doch kann es nicht Aufgabe der Kartellwächter sein,

Wirtschaftspolitik zu betreiben. Mit ihren Entscheidungen sollen sie

nicht dazu beitragen, dass europäische Champions entstehen können.

Das müsste die Politik tun. Ihre Aufgabe ist es, die Verbraucher vor

Preisanstiegen wegen mangelnden Wettbewerbs zu schützen.

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AXC0297 2019-08-22/20:31

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