Erleichtert, aber verunsichert, Kommentar zu Chinas Covid-Kurs von

Norbert Hellmann

Frankfurt (ots) - Der Erlass einer unverschuldeten Gefängnisstrafe, die nie

hätte passieren dürfen, versetzt die Befreiten selten in überschäumende

Partylaune und grenzenlosen Optimismus. Eher überwiegen Gefühle der

Erleichterung wie auch Verbitterung, während der Blick erst recht unsicher

wirkenden Zukunftsperspektiven gilt. Am Mittwoch hat die chinesische Bevölkerung

erfahren dürfen, dass die härtesten Sperrmaßnahmen und Restriktionen der

berüchtigten Null-Covid-Politik auf dem Scheiterhaufen der Geschichte gelandet

sind.

Drei Maßnahmen stechen besonders hervor: Der Abschied vom Lockdown ganzer

Städte, dessen zeitliche Ausdehnung vom Erreichen der magischen Null bei den

Neuansteckungen abhing. Der Verzicht auf Zwangseinweisung in Quarantänelager für

tatsächlich Angesteckte sowie ihre (nicht angesteckten) Kontaktpersonen. Und der

Verzicht auf ein permanentes Massentestregime, das die Teilnahme am öffentlichen

Leben von einem stetigen "Nichtansteckungsbeweis" abhängig macht. Mit Letzterem

erübrigt sich nun auch der Großteil von Mobilitätshindernissen und Restriktionen

für Reisen in andere Provinzen.

Für Chinas Bürger heißt dies, dass ihre Bewegungsmöglichkeiten,

Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen nicht mehr in erster Linie von den

Irrungen und Wirrungen eines weder gesundheits- noch wirtschaftspolitisch

sinnvollen und für soziale Wesen sowieso völlig inakzeptablen

Corona-Kontrollregime bestimmt und kompromittiert werden.

Die Reaktion auf die beste aller Null-Covid-Lockerungsnachrichten der letzten

Wochen ist dementsprechend ausgefallen. Keine Partylaune, aber grenzenlose

Erleichterung darüber, dass eine normale Lebensführung im Land des weltgrößten

Nachzüglers in Sachen Corona-Pragmatismus wieder möglich sein soll. Jede Menge

Verbitterung über die von zig Millionen Menschen erlittenen Strapazen und

teilweise grauenvollen Erfahrungen mit der Durchsetzung von Restriktionen.

Hinter diesen stand nie ein gesundheitspolitisch schlüssiges Konzept, sondern

ein ideologiegetriebenes Parteidiktat, das auf blinden Gehorsam setzt und einen

kritischen Dialog über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen nicht nur unterbindet,

sondern be­straft.

Aus der Flut an Kommentaren, die am Mittwoch durch Chinas soziale Netze

ge­schwappt sind, kristallisiert sich eine ziemlich uniforme Botschaft heraus,

die gleichzeitig Erleichterung und Ratlosigkeit signalisiert: "Endlich Schluss

mit diesem absurden Theater. Die eigentlichen Probleme fangen nun erst an."

Gemeint ist die große offene Frage, welchen tatsächlichen Gesundheitsrisiken und

damit auch wirtschaftlichen Beeinträchtigungen nun eine Bevölkerung unterliegt,

der vom Staat eingebläut wurde, dass alle Nebeneffekte des drakonischen

Corona-Regimes nichts gegen die Verwüstung des Omikron-Virus sind. Nun rudert

man zurück und beruft sich auf "allerneueste wissenschaftliche Erkenntnisse" zur

verminderten Gefährlichkeit von Omikron. Dass sie zeitgleich mit den

denkwürdigen Straßenprotesten vom Novemberende nach Peking durchgedrungen sind,

spricht Bände. Und wenig spricht dafür, dass der Staat nun tatsächlich gewappnet

ist, echten gesundheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden.

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