Ohrfeige, Kommentar zu FlatexDegiro von Björn Godenrath

Frankfurt (ots) - Es ist selten, dass ein Unternehmen in einer Ad-hoc-Mitteilung

so viele schlechte Nachrichten unterbringen muss, wie es FlatexDegiro am

Wochenende getan hat. Zunächst hat die BaFin in einer Sonderprüfung Mängel in

der Organisation und Führung des Unternehmens festgestellt. Dann wurde eine

Unterkapitalisierung der FlatexDegiro Bank AG festgestellt. Und außerdem sah

sich CEO Frank Niehage noch gezwungen, die bereits gesenkte - und kürzlich erst

bestätigte - Prognose für das laufende Geschäftsjahr nach unten hin anzupassen.

Vier Wochen vor Jahresschluss wurde die Erwartung für die operative Marge

(Ebitda) um satte 5 Prozentpunkte auf 37 % reduziert und die Umsatzerwartung von

mindestens 400 Mill. auf 380 Mill. Euro gesenkt. Das reflektiert natürlich auch

das im Brokerage eingetrübte Umfeld - aber da hätte das Unternehmen besser

früher die Latte niedriger gelegt, denn der aufziehende Sturm war absehbar.

Von den Anlegern kassierte Niehage eine Ohrfeige. Die Aktie gab in der Spitze um

38 % nach und markierte ein Dreijahrestief. Auch am Montag schaffte es das

Unternehmen nicht, die Nerven der Aktionäre zu beruhigen. Mit einem Marktwert

von nur noch 800 Mill. Euro könnte FlatexDegiro tatsächlich zum

Übernahmekandidaten werden, wenn die Altaktionäre zu derzeitigen Preisen

abgabebereit wären. Sonderlich viel Upside gibt es nicht für die Aktie, denn die

Online-Broker stehen vor einem fürchterlichen Geschäftsjahr 2023. Das

Trading-Volumen dürfte sich weiter abschwächen, da die Retail-Kunden im Rahmen

der allgemeinen Konsumzurückhaltung eher geneigt sein könnten, aufgrund der

Teuerung Geld aus ihren Depots abzuziehen, um anderswo Lücken zu stopfen.

Immerhin tasten sie die Wertpapiersparpläne bislang nicht an, wie im Markt zu

hören ist.

Vor diesem allgemeinen Hintergrund im Wertpapierhandel bröckelt es auch bei den

Neobrokern. Einige sind bereits auf Käufersuche: So soll J.P. Morgan ein Auge

auf die britische Freetrade geworfen haben, die zugibt, dass sie eine

Finanzierung sucht, derzeit aber keine Due-Diligence-Prozesse stattfänden.

Ebenfalls auf Kapitalsuche befindet sich die niederländische Bux. Die sah sich

aber immerhin in der Lage, am Montag die Übernahme der spanischen Rivalin Ninety

Nine zu stemmen - wohl dem, der in guten Zeiten ausreichend Kapital aufgenommen

hat.

Darüber hinaus droht der Branche von weiterer Seite Gegenwind: Auch wenn

inhaltlich fast alles dagegenspricht, dürften die in der Branche üblichen

Rückvergütungen von Marktmachern an Broker (Payment for Orderflow, PFOF) nahezu

komplett eingeschränkt werden, selbst wenn deutsche Institute in Brüssel noch

darum ringen, das unsinnige Verbot abzubiegen. Neobroker wie Trade­ Republic

rüsten sich dafür, indem sie die Option verfolgen, einen eigenen Marketmaker

aufzustellen. Allein die aufsichtlichen Genehmigungen dafür dürften sich ziehen.

Bei der nun einsetzenden Konsolidierung im Brokerage wird Frank Niehage zusehen,

auf der aktiven M&A-Seite zu stehen - wenn er denn bei FlatexDegiro am Ruder

bleibt. Mit Muhamad Chahrour wird ihm der bisherige Finanzvorstand an die Seite

gestellt als Co-CEO, der das Tagesgeschäft als COO steuert. Es riecht ein

bisschen nach einer Wachablösung.

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