Wenig Perspektive, Kommentar zu Thyssenkrupp von Annette Becker

Frankfurt (ots) - Thyssenkrupp wirft Ballast ab. Rund ein Viertel des Umsatzes

steht zum Verkauf. Wachstum und Schuldenabbau sind das Ziel. Da sage noch einer,

Geschichte wiederholt sich nicht. Die drei Sätze waren im Mai 2011 Schlagzeilen

in der Börsen-Zeitung. Damals hatte der seit Jahresbeginn amtierende

Vorstandschef Heinrich Hiesinger ein erstes Strategiekonzept zur Neuausrichtung

des Konzerns vorgestellt. Auch damals sollten mit umfangreichen Desinvestitionen

Mittel für den Abbau der Schulden beschafft und mehr Freiraum für die

Entwicklung der Wachstumstreiber geschaffen werden.

Neun Jahre später steht Martina Merz, die im Oktober den Vorstandsvorsitz

interimistisch übernommen hat und seit April dauerhaft die Führungsrolle im

Traditionskonzern innehat, vor vergleichbaren Aufgaben. Zwar ist die

gewichtigste Desinvestition mit dem Verkauf der Aufzugssparte abgearbeitet, doch

wird erneut ein Jahresumsatz von 6 Mrd. Euro zur Disposition gestellt. Hier geht

es natürlich weniger um das Versilbern von Assets, sondern ums Aussortieren von

Kostgängern.

Die mit dem Strategie-Update erhoffte Zukunftsperspektive für den Ruhrkonzern

bleibt dagegen vage. Zugegeben, die Covid-19-Pandemie dürfte so manchen Strich

durch die Wachstumspläne gemacht haben. Ernüchternd ist allerdings, dass nur 40

Prozent des Konzernumsatzes - namentlich der Werkstoffhandel und die

Industriekomponenten - aus eigener Kraft vorangebracht werden können. Für den

Rest, der (noch) nicht in die "Bad Bank" abgeschoben wurde, bleibt nur die vage

Hoffnung, im Zuge der jeweiligen Branchenkonsolidierung zu reüssieren.

Gerade hinter das Stahlgeschäft ist in dieser Hinsicht ein dickes Fragezeichen

zu setzen, ist es doch erst ein Jahr her, dass die Fusion mit Tata Steel am

Widerstand der Kartellwächter in Brüssel scheiterte. Erschwerend kommt hinzu,

dass sich Thyssen im Stahlgeschäft der mächtigen IG Metall gegenübersieht, die

es versteht, ihre Interessen durchzusetzen. Damit wird so manches, was denkbar

ist, nicht machbar sein.

Hinter den Erwartungen zurück bleibt das Strategie-Update aber vor allem mit

Blick auf klare Finanzziele. Einen positiven Free Cash-flow, eine auskömmliche

Rendite auf das eingesetzte Kapital und attraktive Dividenden in Aussicht zu

stellen, ist eine Sache, wie und wann Thyssenkrupp dorthin gelangen soll, hätte

deutlicher werden müssen. Damit sich Geschichte nicht wirklich wiederholt, muss

Merz den beschlossenen Umbau nun mit aller Kraft ins Werk setzen.

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