BÖRSE EXPRESS: 2018 war bereits ein Wachstumsjahr für Nachhaltige Investments bzw. Fonds. Auch im Jahr 2019 dürfte sich diese Entwicklung fortsetzen. Womit hängt dieser Boom zusammen?

REINHARD FRIESENBICHLER: Man muss sich das als verwobenes Knäuel vorstellen, das sich vorwärtsbewegt. Einer dieser Fäden ist Greta Thunberg, einer sind die EU-Regulierungsbemühungen, einer sind die 2050-Klimaziele, einer sind die SDGs (Sustainable Development Goals = Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung). Das Thema Klimaschutz ist die gesellschaftliche Causa prima geworden und hat, wenn Sie so wollen, die Flüchtlingskrise als vormalige Causa prima, abgelöst. Das Thema Klimaschutz wird auch weit vorne bleiben. Das bewirkt natürlich auch, dass sich die Auseinandersetzung des Finanzsektors, sowohl Produktanbieter als auch Nachfrager, mit dem Thema intensiviert.

Auch das Niedrigzinsumfeld unterstützt. Viele Investoren denken sich: „Low risk Zinsen gibt es derzeit eh nirgends. Und wenn ich schon die ökonomische Rendite nicht erzielen kann, kann ich mich doch zumindest auf die moralische Rendite fokussieren.“ Und wenn Sie sich die ersten Green Bond-Emissionen der österreichischen Banken vor Augen führen, da steht auch ein Zins-Kupon mit einer Null vor dem Komma … und die verkaufen sich trotzdem besser als die konventionelle Anleihe mit dem gleichen Kupon. Weil es zum Green Bond eine Geschichte gibt, dass dahinter z.B. eine Finanzierung für ein Windrad steht und weil damit endlich dieses hoch abstrakte Finanzprodukt ein stückweit aus der Black Box herauskommt und ein Gesicht kriegt. Ich als Investor weiß, wo mein Geld arbeitet.

Jedenfalls hat die Zahl der Fonds, die nicht breit das Thema Nachhaltigkeit, sondern fokussiert das Thema Klima angehen, in letzter Zeit deutlich zugenommen. Das beschleunigte Wachstum haben wir derzeit bei den Klimastrategien, die müssen nicht unbedingt in einen Fonds münden, sondern sind oft auch eine Overlay-Strategie über ein institutionelles Portefeuille. Das heißt im Klartext: Man misst den CO2-Fußabdruck eines großen Portefeuilles.

 

BÖRSE EXPRESS: Was bedeutet das?

REINHARD FRIESENBICHLER: Ein Asset Owner, also eine Versicherung oder eine Pensionskasse, nimmt all seine Aktien, rechnet den gewichteten CO2-Fußabdruck, vergleicht ihn mit dem des MSCI World und hat dann hoffentlich einen kleineren Fußabdruck. Ermittelt wird der Fußabdruck der einzelnen Titel in der Regel von einigen wenigen Research-Agenturen, die ihre Daten zur Verfügung stellen. In manchen Fällen funktioniert das schon recht gut, in anderen, wie z.B. bei Emerging Markets Small Caps, wird man kaum Daten finden. Viele Daten haben auch Schwächen, z.B. die Berechnungsproblematik der Scope-Emissionen, also von Scope 1 (direkte Emissionen durch Verbrennungen in betriebseigenen Anlagen), über Scope 2 (indirekte Emissionen aus zugekaufter Energie) bis zu Scope 3 (alle anderen indirekten Emissionen aus der Lieferkette sowie aus der Nutzung von Produkten & Services). Während dies bei einem produzierenden Unternehmen mit einer langen Wertschöpfungskette noch einigermaßen einfach ist, wird es bei einem Unternehmen mit vielen Zulieferern schon schwieriger. Es funktioniert auch für manche Asset-Klassen nicht gut, wie z.B. bei Staatsanleihen. Man muss sich der Grenzen der Berechnung bewusst sein.

 

BÖRSE EXPRESS: Wenn Sie von nachfrageseitigem Wachstum sprechen, meinen Sie nach wie vor den institutionellen Investor?

REINHARD FRIESENBICHLER: Ja. Ich glaube, der Retail-Markt funktioniert nur, in dem die Anbieter Angebote vorgeben. Es gibt aber eindeutige Signale, dass Anbieter mit nachhaltigen Produkten/Strategien verstärkt auf den Privatanleger zugehen. Außerdem kommt der Impuls von der regulatorischen Seite, wo in absehbarer Zeit Finanzberater und Bankmitarbeiter bei der Analyse der Kundenbedürfnisse die Nachhaltigkeits-Präferenzen abfragen müssen. Dies allein generiert wahrscheinlich schon ein Aha-Erlebnis.

 

BÖRSE EXPRESS: Wenn wir jetzt auf den österreichischen Fondsmarkt blicken. Gibt es da überhaupt noch eine Fondsgesellschaft ohne nachhaltige Fonds und wie ist der Markt bei uns charakterisiert?

REINHARD FRIESENBICHLER: Wenn ich mir unsere jährliche und im Februar publizierte Statistik aller österreichischen KAGs mit ihren nachhaltigen Publikumsfonds anschaue, gibt es aktuell keine KAG ohne solch einen Fonds. Und auch bei den ausländischen Fondsgesellschaften mit in Österreich gelisteten Fonds ist die Zahl derer ohne Nachhaltigkeitsfonds sehr gering. Wenn es um die verschiedenen Ansätze geht, ist Österreich noch ein Land der Nachhaltigkeitsfonds. Im Gegensatz zur Schweiz, die eher ein Markt der ESG (englisch für Environmental, Social, Corporate Governance; zu Deutsch: Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführung)-Integration-Ansätze ist.

 

BÖRSE EXPRESS: Betreffend die verschiedenen Ansätze, gibt es diesbezüglich Ihrerseits Präferenzen?

REINHARD FRIESENBICHLER: Nein. Ich finde, nachdem man das Thema Nachhaltigkeit - aus verschiedenen Gründen - sowieso nie in ein Einheitskorsett zwingen kann, ist Vielfalt der beste Zugang. Wichtig ist mir immer nur, dass das, was drauf steht, auch drinnen ist. Da vermisse ich manchmal bei den Produktanbietern die Sensibilität und die genaue Erklärung, ob es wertorientierte Nachhaltigkeit - z.B. Ausschlusskriterien, Best-in-Class - oder ESG-Integration ist. Das wird oft vermischt.

 

BÖRSE EXPRESS: Und warum, glauben Sie, ist das so?

REINHARD FRIESENBICHLER: Zum Teil verstehen die Fondsanbieter selber nicht die Modelle, die sie zukaufen. Fast keiner hat eine eigene Rohdatensammlung sondern kauft sie bei einer der rund fünf bis zehn etablierten Research-Agenturen wie z.B. ISS-oekom, Sustainalytics, MSCI ESG Research oder wir als rfu in Österreich, zu. Manche davon fahren ­Sustainability-Modelle und manche arbeiten eindeutig mit ­­­ESG-Integration. Das kommt aber in den Produktdarstellungen oft nicht rüber.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie soll sich dann aber ein Anleger auskennen?

REINHARD FRIESENBICHLER: Dazu sage ich nur: Österreichisches Umweltzeichen. Es prämiert seit 2004 konsequent auch nachhaltige Finanzprodukte, eine reine ESG-Integration ist dagegen nicht umweltzeichen-tauglich. Die hat eher noch in der Prüfrichtlinie des FNG (Forum Nachhaltige Geldanlagen)-Siegels Platz, das zweite Label für die inhaltliche Qualität von nachhaltigen Fonds im deutschsprachigen Raum.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie verbreitet sind denn die beiden Labels in Österreich?

REINHARD FRIESENBICHLER: Was das staatliche Umweltzeichen für nachhaltige Finanzprodukte anbelangt, so trägt - grob gesagt - zirka jeder zweite bzw. dritte der österreichischen Nachhaltigkeitsfonds dieses Siegel. Das FNG-Siegel ist in Österreich noch deutlich weniger verbreitet. Das hat vor allem damit zu tun, dass erstens das FNG-Siegel viel später, nämlich erst 2015, eingeführt wurde und zweitens eine Privatinitiative ist. Während die Umweltzeichenfamilie bereits 1990 vom damaligen Lebensministerium ins Leben gerufen wurde und das Umweltzeichen für nachhaltige Finanzprodukte später als neue Richtlinie dazukam, musste man das FNG-Siegel von Null aufbauen.

 

BÖRSE EXPRESS: Stichwort Etikettenschwindel. Gibt es Ihrer Meinung nach hier Grund zur Sorge?

REINHARD FRIESENBICHLER: Nein. Wenn man darunter versteht, dass das Gegenteil von dem drinnen ist, was draufsteht. In Österreich sowieso nicht. Denn da sorgen die beiden etablierten Labels, das Umweltzeichen für die Fonds und das ÖGUT-Label für die Vorsorgekassen, für eine gewisse Klarheit.

 

BÖRSE EXPRESS: Welche Hürden gibt es für ein weiteres rasches Wachstum im Bereich Nachhaltiges Investment und zwar für private und institutionelle Investoren?

REINHARD FRIESENBICHLER: Fangen wir mit den Privatanlegern in Österreich an: Die unmittelbare und größte Hürde, völlig unabhängig von der Nachhaltigkeit, ist ihre Risikoaversion. Vielleicht hilft manchen die Nachhaltigkeit da drüber, vielleicht ist für manche die Nachhaltigkeit aber auch eine zusätzlich Verkomplizierung. Dieser Risikoaversion ist im Retail-Bereich nur von Seiten der Anbieter beizukommen, im Vertrieb gilt hier das Saysche Gesetz: Angebot schafft Nachfrage. Das beginnt jetzt gerade. Meiner Meinung nach ist das auch die einzige Strategie, den Markt zu entwickeln. Man muss selber die Leute befähigen, die Produkte, die es heute schon gibt, kaufen zu können. Dazu sind natürlich die Ausbildung der Berater/Vertriebsleute und das Wissen auf Seiten der Investoren notwendig. Die Banker müssen jedenfalls über Grundinformationen verfügen, nachdem sie ja die Nachhaltigkeits-Präferenzen der Kunden abfragen müssen. Dazu werden Lehrgänge entwickelt. Die Investoren ihrerseits sind jetzt zumindest sensibilisiert, was Klimawandel und -schutz angeht und informieren sich - manche mehr, manche weniger - über das Thema.

Im institutionellen Bereich sehe ich den Motor schon ganz gut brummen und der kommt eindeutig von der Nachfrageseite selber. Das ist einerseits dem stark verankerten Chancendenken der Versicherungen und Pensionskassen geschuldet, andererseits ist es, wie z.B. bei den heimischen Vorsorgekassen, eher die Antizipation der Interessen der eigenen Kunden. Immerhin haben die bereits 2003 angefangen, nachhaltig zu investieren und da war das kapitalmarktrelevante Risiko des Klimawandels noch nicht so bekannt.

Generell würde ich sagen, dass die Wirklichkeit die größte Limitierung für nachhaltiges Investment ist.

 

BÖRSE EXPRESS: Was meinen Sie damit genau?

REINHARD FRIESENBICHLER: Die Investmentphilosophie umzustellen, erfordert Anlagevehikel, also einzelne Aktien und Anleihen. Das heißt der Shift zum nachhaltigen Investment kann immer nur ungefähr so schnell gehen wie der Shift des Kapitalmarktes und der dahinter stehenden Ökonomie insgesamt. Beispiel: Ich kann an einer Börse, wo es fast nur Ölaktien gibt, wie in Russland, kaum nachhaltig investieren. Wir haben einmal testweise versucht, für die Wiener Börse einen Russland-Nachhaltigkeitsindex zu konzipieren. Es kamen nur zwei Titel raus und wir haben das Projekt wieder eingestellt.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie sieht denn die Anlagewirklichkeit weltweit aus?

REINHARD FRIESENBICHLER: In unserer nachhaltigen Länderanalyse - jährlich aktualisiert - decken wir 160 Staaten der Erde, also faktisch die ganze Welt, ab. Da gibt es Ergebnisse, die vorhersehbar sind, wie z.B. dass die skandinavischen Staaten besonders gut abschneiden, aber auch immer wieder Überraschungen, auch positive wie Costa Rica in Mittelamerika. Das Land hat vor vielen Jahren schon auf die militärische Verteidigung verzichtet und hat diesen Budgetanteil - rund zwei, drei Prozent - lieber für soziale Entwicklung, also z.B. für Bildung und Gesundheit, ausgegeben. Der Zinseszinseffekt von diesen zwei, drei Prozent nach Jahrzehnten ist enorm und den spürt das Land heute. Der außerordentliche Entwicklungsstatus von Costa Rica in seinem Umfeld ist also dieser Entscheidung geschuldet. Ein anderes positives Beispiel für Südamerika ist Uruguay. Sieht man von den Ausschlusskriterien ab, dann schneiden Nepal und Bhutan in Asien gut ab. In Afrika liegt z.B. Kenia nicht so schlecht oder auch Botswana, übrigens das erste afrikanische Land mit einem A-Bonitätsrating.

 

BÖRSE EXPRESS: Gehen wir nochmals zurück zu den möglichen Treibern des Wachstums im Bereich Nachhaltiges Investment. Stichwort Regulierung. Was hat es mit der „Taxonomie der Nachhaltigkeit“ als eines der zehn Ziele des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums auf sich?

REINHARD FRIESENBICHLER: Nun, diese Taxonomie hilft zumindest, konkret zu benennen, was klimafreundlich ist. Sie definiert, welche Themenbereiche als klimafreundlich und ökologisch betrachtet werden. Kritisch könnte man hier anmerken, dass also die Taxonomie nur auf einem Fuß steht. Sie soll aber in einem zweiten Schritt auf die übrigen umweltbezogenen und sozialen Tätigkeiten ausgeweitet werden. Sie soll auch die Basis für ein EU Eco-Label für Finanzprodukte sein. Was den EU-Konsens anbelangt, stoßen wir jedoch bereits an unsere Grenzen. Erst vor kurzem haben z.B. die Franzosen reklamiert, dass Atomenergie doch klimafreundlich sei. Polen meinte wiederum, die Kohleindustrie habe eine soziale Dimension. Also wurde der Termin für die Taxonomie auf später verschoben.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie sieht es mit den anderen Zielen des Aktionsplans aus?

REINHARD FRIESENBICHLER: Den Punkt „Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in der Finanzberatung“ haben wir schon angesprochen. Mit der Anpassung von MiFID II sollen hier die Wertpapierfirmen und Versicherungsvertreiber zukünftig zu einer Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden verpflichtet werden. Damit hängt zusammen, dass die Mitarbeiter ausgebildet werden müssen. Das bringt sicher was. Auch der Punkt „Treuhänder- und Investorenpflichten“, also das Ziel, institutionelle Anleger und Vermögensverwalter ausdrücklich anzuhalten, Nachhaltigkeitsaspekte in den Entscheidungsprozess für Investitionen einzubeziehen, wird was bringen.

 

BÖRSE EXPRESS: Was wünschen Sie sich von der Zukunft?

REINHARD FRIESENBICHLER: Der Klimawandel ist ein wirkungsvoller Motor für Nachhaltige Investments. Mein Wunsch ist, dass der Bereich sich aber langfristig nicht in der Klimaschutzorientierung erschöpft, sondern dass wir auch andere Themen, die uns als Gesellschaft unter den Nägeln brennen, als investmentrelevant erkennen. <