Halbzeit! Die Hälfte eines bisher sehr fordernden Anlagejahres liegt hinter uns. Als da waren: Corona, haussierende Rohstoffpreise, rekordverdächtige Inflationszahlen, globale Lieferengpässe, steigende Zinsen und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Diese Gemengelage hatte es in sich und blieb nicht ohne Folgen für die Anleger. Eine Börsenregel besagt: „Wie die ersten Tage eines Börsenjahres laufen, so wird das ganze Börsenjahr“. Das zeigt wieder, was von alten Börsenweisheiten zu halten ist. Nichts!

Das Börsenjahr 2022 startete verheißungsvoll. Nachdem bereits an den ersten drei Januartagen der DAX um rund 2,5 Prozent auf ein neues Hoch von 16.271 Punkten geklettert war, kam es nach dem Beginn des Ukrainekrieges zu einem Ausverkauf an den Aktienmärkten. Zur Jahresmitte notiert Deutschlands führender Aktienindex knapp 20 Prozent im Minus. Andere Aktienindizes traf es noch härter. Der US- Technologie-Aktienindex Nasdaq Composite verlor seit Jahresbeginn über 32 Prozent an Wert.

Nicht nur die Aktienmärkte kamen unter die Räder. Am Rentenmarkt gab es durch die steigenden Zinsen einen Kurseinbruch, den man getrost als einmalig in den letzten 40 Jahren bezeichnen kann. Anleihen verloren innerhalb kurzer Zeit teilweise zweistellig an Wert. Der Bund-Future, der den Kurs einer sechsprozentigen Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit widerspiegelt, fiel um mehr als 13 Prozent und befindet sich wieder auf dem Stand von 2014.

Da war es gleich, ob das Depot eher defensiv mit hohem Anteil festverzinslicher Wertpapiere oder dynamisch mit einer hohen Aktienquote ausgerichtet war. Vielen Anlegern blieben erhebliche Kursverluste im ersten Halbjahr nicht erspart.

Des einen Freud, des anderen Leid.

Für Neuinvestoren, die ihr Geld in Anleihen investieren möchten, gab es zuletzt wesentlich attraktivere Renditen als noch vor einigen Monaten.

Mehr Leid erfahren dagegen Immobilieneigentümer und -investoren. Baufinanzierungen verteuerten sich innerhalb kürzester Zeit um das Dreifache. Waren Baudarlehen mit zehnjähriger Bindungsfrist zum Jahresbeginn noch für bis zu 0,8 Prozent zu bekommen, liegen die aktuellen Sätze bei etwa 3 Prozent. Wer jetzt refinanzieren muss, hat noch Glück im Unglück. Vor zehn Jahren waren die Konditionen ähnlich. Doch früher oder später werden die steigenden Zinsen ihre Spuren am Wohnungsimmobilienmarkt hinterlassen. Immer mehr Häuslebauer werden sich die Kombination aus teurer Immobilie und teurer Fremdfinanzierung nicht mehr leisten können.

Der Blick auf die Rohstoffmärkte zeigt, woher die Inflation kommt. Die Preise für alle Rohstoffe, vor allem aber für Energie, gingen durch die Decke. Davon profitierte zunächst Gold als Krisenmetall und Inflationsschutz. Das Edelmetall verteuerte sich zwischenzeitlich um mehr als 13 Prozent, konnte jedoch diese Gewinne nicht halten. Als zinsloses Investment wurden alternative Anlageformen wieder interessanter.

Als Absicherung in Krisen dürfte Gold dennoch gefragt bleiben. Die Kombination aus hoher Inflation mit extremen Preissteigerungen, eine noch nicht beseitigte Pandemie, der Krieg in der Ukraine und global unveränderte Lieferengpässe bergen in der zweiten Jahreshälfte ein deutliches Rezessionsrisiko. Der Bundesverband deutscher Industrie halbierte bereits seine Wachstumsprognose. Der Auftragsbestand in der Industrie ist zwar noch hoch, jedoch behindert der harte Null-Corona-Kurs in China mit seinen Lockdowns die Belieferung durch Containerschiffe. Derzeit stecken schätzungsweise elf Prozent (!!) der weltweit verschifften Waren auf Containerschiffen im Stau. Dass die Gewerkschaft Verdi für Hafenarbeiter 14 Prozent Gehaltssteigerung fordert und mit Warnstreiks droht, verringert das Problem keinesfalls.

Finanzminister Christian Lindner warnte sogar vor einer ernst zu nehmenden Wirtschaftskrise und schweren Folgen der Inflation. Die Teuerungsrate verändere schon jetzt vieles. Die Zinsaufwendungen im Staatshaushalt könnten laut Lindner von vier Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro anschwellen.

Eine Rezession für Deutschland wird also wahrscheinlicher, vor allem wenn die russischen Gaslieferungen tatsächlich ausbleiben sollten. Dieses Szenario könnte den Notenbanken jedoch die Möglichkeit bieten, den zuletzt eingeschlagenen harten Zinserhöhungskurs zu überdenken.

Aktien:

Diverse Analysten sehen das Rezessionsrisiko in den Aktienmärkten noch nicht vollends eingepreist. Daher dürften die Aktienkurse auch weiterhin starken Schwankungen unterlegen sein. Für langfristig orientierte Anleger bleiben internationale Qualitätsaktien unverändert attraktiv. Es gilt gerade im aktuellen Umfeld jene Unternehmen mit höchster Bilanzqualität und einem robusten, zukunftsfähigen Geschäftsmodell herauszufiltern. Werte mit dem entscheidenden Wettbewerbsvorteil, dem sogenannten Burggrabeneffekt und einem Management mit klaren Visionen sind im Vorteil. Trotz der zunehmenden Belastungen sind deutsche Unternehmen immer noch robust aufgestellt. Vor allem der schwache Euro treibt den Export voran. Experten rechnen mit einem gegenüber dem Rekordvorjahr fast unveränderten Gewinn der 40 DAX-Unternehmen von etwa 100 Milliarden Euro.

Zinsen:

Festgeld-Fans wird es freuen. Mit der angekündigten Zinserhöhung der EZB fällt bei den meisten Banken der unbeliebte Negativzins teilweise weg. Das bedeutet nicht, dass es jetzt Zinsen für das Ersparte gibt. Es wird Anlegern weiterhin nicht gelingen, mit Festgeldanlagen inflationsbereinigt ihre Kaufkraft zu erhalten. Die sehr hohen Erzeugerpreise, rekordverdächtige Inflationszahlen und die angekündigten Gehaltsforderungen der IG-Metall von sieben bis acht Prozent deuten unverändert auf einen sehr angespannten Rentenmarkt mit steigenden Renditen hin. Bei den ersten Frühindikatoren, die eine drohende Rezession dokumentieren, kann sich allerdings eine starke Gegenbewegung bei den Anleihekursen ergeben. Hier würden wir in nächster Zeit vorsichtige Käufe bei Unternehmensanleihen mit guter Bonität und Staatsanleihen in USA sowie Europa mit überschaubarer Restlaufzeit wagen.

Immobilien:

Dem jahrelangen Boom bei Wohnungsimmobilien droht ein jähes Ende. Die Stimmung in der Branche trübt sich ein. Schuld daran sind stark steigende Kosten für Baumaterial und Lieferengpässe. Gleichzeitig sieht das Institut der deutschen Wirtschaft IW in einigen Regionen fallende Preise. Denn die Nachfrage bleibt aus. Aktuelle sind die Fremdfinanzierungskosten so teuer wie vor zehn Jahren, Tendenz weiter steigend. In der Folge sind bereits die Aktienkurse börsennotierter Wohnungsgesellschaften wie Deutsche Wohnen und Vonovia seit Jahresbeginn um über 35 Prozent gefallen. Bei Büroimmobilien sind die langfristigen Auswirkungen von Corona und Homeoffice immer noch unklar. Auch hier bleibt die Lage unverändert schwierig.

Rohstoffe:

Die Rohstoffpreise sind in den vergangenen Monaten durch die Decke gegangen. Bleibt die Wirtschaft stabil, bleiben auch die langfristigen Aussichten für Industrierohstoffe intakt. Bei einer globalen Rezession wären Einbußen jedoch nicht zu vermeiden. Gold bleibt für uns bei weiter hohen Inflationsraten und zur Diversifizierung der Portfolios eine interessante Anlageform.

Fazit:

Einer der größten Fehler, den Anleger machen können, ist nicht investiert zu sein. Doch genau das ist aktuell zu beobachten. Die widrigen Rahmenbedingungen führen bei vielen Marktteilnehmern zu einem stark ausgeprägten Pessimismus. Der CNN-„Fear & Greed Index“, der die Emotionen der Marktteilnehmer misst, signalisiert extreme Angst. Somit kann jede kleine Verbesserung der aktuellen Lage zu kurzfristigen starken Aufwärtsbewegungen bei Anleihen und Aktien führen. Ebenso sind kurzfristige Rückschläge wahrscheinlich. Auf alle Fälle bleibt die zweite Jahreshälfte voraussichtlich sehr volatil. Daher ist jetzt die Zeit der Sparpläne. Anleger, die in den kommenden Monaten investieren wollen, sollten das zu verschiedenen Zeitpunkten machen. Ein sukzessiver Einstieg in Qualitätsaktien und Rentenpapiere mit solider Bonität sollte auf Dauer zu einem attraktiven Durchschnittspreis gelingen.

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Aus dem Börse Express PDF vom 22.07. hier zum Download

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