Mit fünf Euro kommt man an der Fleischtheke im Supermarkt noch immer weit: Ein Kilo Krustenbraten gibt es schon für 4,99 Euro. Oder darf es auch ein Pfund Filet sein? Mit günstigem Fleisch lockt der Handel seit jeher die Kunden; Lebensmittel sind in Deutschland günstiger zu haben als in vielen Nachbarländern. Das betrifft nicht nur Supermarktkunden und Handel, sondern hat Folgen für die Bauern. Immer weniger Betriebe produzieren für immer mehr Menschen. Druck und Stress wachsen, Dankbarkeit wird vermisst.

Landwirte brauchen mehr Wertschätzung, fordert der Bauernverband bei der Online-Ausgabe der Agrarmesse Grüne Woche, die am Donnerstag zu Ende ging. Kaum jemand wolle aber im Supermarkt mehr ausgeben für Lebensmittel, die mehr Umwelt- und Tierschutz garantieren.

Nüchtern fasst das Statistische Bundesamt in Zahlen, was auf dem Land einen drastischen Wandel bedeutet. Deutsche Bauernhöfe waren 2020 so groß wie nie. 63 Hektar Land beackert ein Betrieb im Durchschnitt, sieben Hektar mehr 2010. Auch die Tierbestände wachsen. Schweinehalter haben im Schnitt 827 Tiere im Stall, 2010 waren es noch 459. Fast jeder zweite Schweinehalter hat seither aufgegeben.

1949 ernährte ein Landwirt rechnerisch zehn Menschen, heute sind es mehr als 130, wie aus Zahlen des Bauernverbands hervorgeht. Maschinen haben den Bauern viel Handarbeit abgenommen, auch in den Ställen. Sie trimmten ihre Betriebe auf Effizienz, produzieren längst Fleisch für den Weltmarkt. "Wachse oder weiche", ist seit langem die Devise.

Das umstrittene Wort "Massentierhaltung" steht längst in Schulbüchern, doch immer seltener sitzt ein Bauernkind mit im Klassenraum. Der Kontakt geht verloren. Immer weniger Menschen erleben selbst, wie Fleisch, Milch und Getreide produziert werden, trotz regelmäßiger "Tage des offenen Hofes".

Manche Landwirte posten Fotos und Videos auf Youtube und Instagram, doch oft kommen nur Likes von Berufskollegen. Eine Gelegenheit ins Gespräch zu kommen, ist in normalen Jahren auch die Grüne Woche. Online debattierten in diesem Jahr vor allem Fachleute.

Die zuständige Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) stellt sich in der "massiven Umbruchphase" vor die Bauern und wirft Kritikern vor, Leistungen würden nicht anerkannt, ihre wirtschaftliche Lage nicht berücksichtigt, über Ernährungssicherheit nicht nachgedacht. Frustration mache sich breit. Manche Kritiker pflegten ein "Wunschgefühl nach heiler Welt", oft geprägt durch eine städtische Sicht auf die Dinge.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch warf dagegen dem Ministerium Schönfärberei vor. Missstände in der Landwirtschaft würden ausgeblendet. Die Ministerin solle einfach mal ihre Arbeit machen, forderte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. Bauern bräuchten verlässliche Rahmenbedingungen. Bis zur Sommerpause sei ein Konsens der Agrar- und Umweltressorts in Bund und Ländern notwendig, wie die EU-Agrarpolitik in der neuen Förderperiode umgesetzt werden solle.

Umweltschützer und Anbauverbände warben bei der Vorstellung des Kritischen Agrarberichts dafür, mit dem Geld aus Brüssel möglichst viele Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen zu fördern und den Ökolandbau voranzubringen. Jeder zehnte Betrieb hat laut Statistischem Bundesamt inzwischen auf Bio umgestellt, vor allem in Süddeutschland. 2010 waren es sechs Prozent. Die EU will 25 Prozent bis 2030 erreichen.

265 000 Bauern hat das Statistische Bundesamt befragt. Ein Ergebnis: Auch in konventionellen Betrieben gibt es Fortschritte. Die Ställe werden moderner, oft zum Wohl der Tiere. Es stehen nur noch wenige Legehennen in Käfigen; hier greift ein Verbot. Stark gesunken ist die Zahl der Rinder, die ganzjährig angebunden sind. Standard ist der Laufstall, in dem sich die Tiere frei bewegen können.

Aber häufiger als 2010 stehen Schweine auf kosteneffizienten Beton-Spaltenböden. Um mit den Weltmarktpreisen mithalten zu können, lassen nur wenige Halter ihre Tiere im Stroh wühlen. Gegen den Preisdruck des Handels ziehen immer wieder Bauern vor die Lager der großen Ketten. Diese reden nun mit der Bauern-Initiative "Land schafft Verbindung". Landwirtschaft in Deutschland müsse Zukunft haben, betont der Lebensmittelhandel. Ob das zu höheren Preisen im Supermarkt zugunsten der Bauern führt, ist aber offen.

Eine Kommission um Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) hatte einen Investitionsbedarf von zunächst 1,2 Milliarden Euro jährlich in den Ställen ermittelt. Tierische Produkte könnten dafür etwa durch eine Verbrauchssteuer oder "Tierwohl-Abgabe" teurer gemacht werden. Denkbar wären etwa 40 Cent je Kilo Fleisch und Wurst.

Wie mit Preisen und Lebensmitteln umgegangen wird, müsse sich ändern, forderte in Berlin auch Klöckner. Sie hatte eine Weichenstellung für einen über Parteigrenzen hinweg getragenen "Systemwechsel" vor der Bundestagswahl im September verlangt. Zunächst aber werden die Vorschläge in einer Machbarkeitsstudie rechtlich überprüft./bf/DP/nas

AXC0310 2021-01-21/17:00

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