Proteste der "Gelbwesten" mit Krawallen und Ausschreitungen haben Frankreich am Wochenende erneut in Atem gehalten. Paris glich am Samstag einer Stadt im Belagerungszustand. Viele Geschäfte und Touristenattraktionen wie der Eiffelturm blieben geschlossen. Autos brannten, Läden wurden geplündert. Auch in anderen Städten wie Bordeaux und Toulouse eskalierte die Gewalt. Landesweit waren weit mehr als 100 000 Demonstranten auf den Straßen.

Angesichts der andauernden Proteste gerät Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron immer stärker unter Druck. Am Montagabend um 20 Uhr will er sich nun von seinem Amtssitz aus an die Franzosen wenden, wie Élysée-Kreise am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur bestätigten. Vertreter der "Gelbwesten", der Opposition und der Stadt Paris hatten zuvor Antworten des Präsidenten gefordert.

Bereits am Montagmorgen will der 40-Jährige unter anderem Vertreter der großen Gewerkschaften, der Arbeitgeber sowie die Präsidenten der Nationalversammlung und des Senats treffen, wie Élysée-Kreise bestätigten. Der Präsident wolle in dieser schweren Zeit alle politischen, lokalen, wirtschaftlichen und sozialen Kräfte versammeln, hieß es. Ziel sei, ihre Stimmen und Vorschläge zu hören.

Am Samstag waren allein in Paris mindestens 10 000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse gegen Demonstranten und Randalierer ein. Im ganzen Land wurden Autobahnen blockiert, in verschiedenen Städten lieferten sich Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei.

Landesweit wurden knapp 2000 Menschen festgenommen, wie verschiedene Medien unter Berufung auf das Innenministerium berichteten. Mehr als 1700 Menschen kamen demnach in Gewahrsam - das heißt, sie können nach französischem Recht im Regelfall bis zu 24 Stunden festgehalten werden, etwa weil sie im Verdacht stehen, eine Straftat begehen zu wollen. Mehr als 250 Menschen wurden früheren Angaben des Innenministeriums zufolge verletzt, darunter rund drei Dutzend Sicherheitskräfte. Bei Polizisten und Gendarmen ist die Zahl der Verletzten damit im Vergleich zu den vorangegangenen Protesten deutlich gesunken: Nach Angaben von Innenminister Christophe Castaner hatte es in ihren Reihen am 1. Dezember 284 Verletzte gegeben - rund siebenmal so viele wie jetzt.

Die Protestbewegung der "Gelben Westen" hatte sich Mitte November angesichts geplanter Steuererhöhungen auf Kraftstoffe formiert. Dieses Vorhaben hat die Mitte-Regierung wegen der wochenlangen Proteste mittlerweile auf Eis gelegt. Die Forderungen der Demonstranten reichen heute jedoch viel weiter - von Steuersenkungen über mehr Kaufkraft bis zum Rücktritt Macrons.

Paris glich am Samstag einer Trutzburg: Erstmals waren im Zuge der "Gelbwesten"-Proteste gepanzerte Fahrzeuge in der Hauptstadt unterwegs, um Barrikaden zu räumen. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten blieben geschlossen, Schaufenster wurden mit Holzplatten gegen Vandalismus geschützt. An mehreren Dutzend Stationen hielt die Metro auf Geheiß der Polizei nicht.

"Das Niveau der Gewalt war schwächer - dank der Professionalität unserer Sicherheitskräfte", sagte Griveaux am Sonntag dem Sender BFMTV. Das Aufgebot an Polizisten und anderen Ordnungskräften war nach den Ausschreitungen der Vorwoche massiv aufgestockt worden. Nach Angaben des Innenministeriums waren landesweit 120 000 Polizisten, Gendarmen und Feuerwehrleute im Einsatz.

An diesem vierten Wochenende mit landesweiten Protesten kontrollierten die Sicherheitskräfte in Paris systematisch Taschen und die Identität der Demonstranten, sie zogen potenzielle Gewalttäter auch schon vor Beginn der Proteste aus dem Verkehr. Die Zeitung "Le Parisien" bilanzierte: "Dieses Mal hat das Chaos nicht triumphiert."

Grund zum Jubeln ist das aus Sicht der Stadt Paris aber kaum. "Das Spektakel, das Paris abgeliefert hat, ist katastrophal", sagte Emmanuel Grégoire, Beigeordneter der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, dem Sender France Inter. "Die Gewalt war zwar weniger radikal, aber die Schäden sind wahrscheinlich noch schwerwiegender als eine Woche zuvor." Der von der Gewalt betroffene Teil der Stadt sei viel größer gewesen als in der Vorwoche. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sprach vor Journalisten von einer "Katastrophe für den Handel", einer "Katastrophe für unsere Wirtschaft".

Auch in Brüssel im Nachbarland Belgien war es zu Protesten gekommen. Nach Angaben der Polizei wurden am Samstag rund 400 Menschen festgenommen. Vor allem im Europaviertel kam es zu Zusammenstößen von Demonstranten mit der Polizei. Insgesamt hätten sich rund 1000 Menschen an den Protesten beteiligt, hieß es./vio/DP/zb

AXC0032 2018-12-10/06:35

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