(dpa-AFX) - Ein Schwein ist fertig gemästet und soll geschlachtet werden. Ein Kalb wird auf dem Milchbetrieb nicht gebraucht und soll in Holland gemästet werden. Eine trächtige Kuh soll in Nordafrika kalben und dort weiter Milch geben - all das sind Gründe, warum täglich Millionen lebender Tiere durch Europa und über seine Grenzen hinaus transportiert werden. Was sie auf dieser Reise erleben, ist oft qualvoll: Da sind Hunger, Hitze, Enge und Verletzungen.

Seit vielen Jahren sind Missstände bekannt. Doch die Kontrollen der bestehenden Regeln sind schwierig und immer wieder schrecken Skandale die Öffentlichkeit auf. Nun unternimmt das EU-Parlament einen neuen Anlauf, um die Transportbedingungen für Tiere zu verbessern.

Die Abgeordneten stimmen am Donnerstag über den Bericht eines Untersuchungsausschusses ab, der gravierende Mängel bei der Umsetzung der Regeln feststellt. Ziel ist es, Druck auf die EU-Kommission aufzubauen, damit diese die Regeln nachbessert und für bessere Kontrollen sorgt. Noch sind allerdings Änderungen am Text möglich. Erst am Nachmittag wird über die endgültige Fassung abgestimmt.

Eine, die große Hoffnungen in das Papier setzt, ist Iris Baumgärtner, Vize-Vorstand der Tierschutzorganisation Animal Welfare Foundation. Sie fährt regelmäßig Tiertransportern hinterher. Unterschiedliche Tierarten litten auf Reisen unterschiedlich, sagt Baumgärtner. "Hühner oder Puten sitzen in den Lkws stundenlang in kleinen Containern oder Käfigen, in denen sie nicht einmal aufrecht stehen können." Viele klemmten sich die Füße oder die Flügel ein. "Man sieht immer wieder tote oder verletzte Tiere dazwischen, aber man kann ihnen nicht helfen, weil man nicht an sie rankommt."

Bei Rindertransporten seien besonders die teils quälend langen Stopps an EU-Außengrenzen problematisch, oft in sengender Hitze. "Die Tiere stehen in ihren Exkrementen", sagt Baumgärtner. "Selbst wenn man nur durch die offenen Lüftungsklappen filmt, tränen einem die Augen von der Schärfe des Ammoniaks." In Transportschiffen setzten niedrige Decken, Seegang, Platzmangel und steile Laderampen den Tieren zu.

Kälber, die noch auf Milch angewiesen sind, hungerten auf längeren Transporten. Wenn sie einem Kälbertransporter hinterherfahre, höre sie oft das Brüllen der Tiere, die seit Stunden keine Nahrung bekommen hätten. Grundsätzlich bemängelt Baumgärtner, dass Tiere ganz rechtmäßig über unbeschränkte Distanzen transportiert werden dürfen - wenn sie zwischendurch für vorgeschriebene Pausen an speziellen Stationen abgeladen werden.

Die Probleme betreffen potenziell eine Riesenzahl an Tieren. Mehr als 1,6 Milliarden lebende Tiere wurden 2019 laut EU-Parlament innerhalb der EU und aus der EU hinaus transportiert. Der Wert des Handels mit lebenden Tieren innerhalb der EU belief sich 2018 laut EU-Parlament auf 8,6 Milliarden Euro. Knapp drei Milliarden Euro brachte der Handel mit lebenden Tieren mit Drittstaaten ein.

In dem noch nicht final bestätigten Bericht werden nun Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten gefordert, die die Probleme nicht beheben, sowie festgelegte maximale Transportzeiten für jede Tierart und Transportverbote bei Extremtemperaturen. Außerdem werden Überwachungskameras für Lkw und ein Verbot von Transporten sehr junger Tiere unter fünf Wochen vorgeschlagen.

Mangelnde Abstimmung zwischen den EU-Ländern ist aus Sicht der Grünen-Europaabgeordneten Anna Deparnay-Grunenberg eins der Hauptprobleme. Sie schildert einen typischen Fall: "Ein in Polen zugelassenes Fahrzeug fährt nach Deutschland, entspricht aber teilweise nicht den Regeln in Deutschland." Für die hiesigen Behörden sei es schwierig, das Fahrzeug erneut zu überprüfen. Fahre der Tiertransport weiter, etwa nach Frankreich, könne wiederum nicht überprüft werden, ob die maximalen Fahrzeiten eingehalten würden.

Die CSU-Abgeordnete Marlene Mortler, die mit im U-Ausschuss saß, formuliert es so: "So viele Hände und Augen hat die EU gar nicht, um Verstöße lückenlos zu kontrollieren. Deshalb ist und bleibt die Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten so wichtig." Allerdings müsse die EU sich um die Umsetzung kümmern.

Auch die Bundesregierung hat das Thema auf dem Schirm. Man werde sich auf EU-Ebene noch stärker engagieren als bisher, um die bestehenden Probleme beim Transport in Drittländer zu lösen und die konsequente Umsetzung der Vorschriften voranzubringen, teilte das Bundeslandwirtschaftsministerium mit. Außerdem strebe man ein Umlenken hin zu Transporten von Fleisch und genetischem Material, also etwa Tiersperma, an.

Die Europäische Union des Vieh- und Fleischhandels (UECBV) teilt mit, man begrüße den Bericht in weiten Teilen. Eine Senkung der erlaubten Transportzeiten - wie sie etwa die Grünen fordern - sei jedoch nicht zielführend, da "der kritischste Faktor für das Wohlergehen der Tiere während des Transports nicht die Transportdauer, sondern die Be- und Entladungsvorgänge sind", erklärte Generalsekretär Karsten Maier.

Tierschützerin Baumgärtner hält den Bericht zwar an manchen Stellen für zu weich formuliert. Er enthalte aber viele wichtige Forderungen. "Der Bericht des EU-Parlaments kann ein historischer Meilenstein sein für einen besseren Schutz der Tiere", sagt Baumgärtner. "Ich hoffe, diese Chance wird nicht vertan."/vio/DP/zb

AXC0054 2022-01-20/06:35

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