Vieles, sagt der Vizekanzler, spreche dafür, dass es bald geschafft sei: Die Impfzahlen gehen hoch, die Corona-Infektionszahlen runter. Finanziell sei Deutschland auch wieder "auf Kurs", meint Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Doch "auf Kurs" heißt nicht, dass das Ziel schon erreicht ist - auch das wird klar, wenn man auf die am Mittwoch vorgestellten Zahlen der Steuerschätzer blickt. Die Corona-Krise hat ein gewaltiges Loch in die Staatskassen gerissen. Erst 2023 wird der Bund wohl wieder so viele Steuern einnehmen wie vor der Krise im Jahr 2019.

Der Finanzminister zeigt sich trotzdem gewohnt optimistisch: "Deutschland steht wirklich gut da", betont Scholz. Die Schuldenquote sei die niedrigste aller G7-Staaten - und deutlich unter dem Niveau der Finanzkrise vor rund zehn Jahren. "Wir gehen sorgsam mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um", beteuert der SPD-Kanzlerkandidat. "Das ist mir persönlich sehr, sehr wichtig." Jetzt könne das Land wieder durchstarten.

Doch es besteht die Gefahr, dass dieser Start erstmal nur mit angezogener Handbremse passieren kann. Denn in diesem und auch im kommenden Jahr müssen Bund, Länder und Kommunen mit 6,6 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen auskommen, als sie noch im November eingeplant haben. Ein Grund ist die damals noch nicht absehbare, jetzt langsam abflauende dritte Corona-Welle mit Ladenschließungen und Konsumzurückhaltung bei den Verbrauchern.

Dazu kommen die massiven Hilfsprogramme der Regierung, die sich auch steuerlich auswirken: Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie etwa, veränderte Abschreibungsregeln und neue Regeln für das Verrechnen von Unternehmensverlusten. Scholz nennt auch mehr Kindergeld, den Kinderbonus von 150 Euro pro Kind und einen höheren steuerlichen Grundfreibetrag. Allein in diesem Jahr verzichtet der Staat nach Angaben des Finanzministeriums mit seinen gezielten steuerlichen Hilfsmaßnahmen auf Einnahmen von 14 Milliarden Euro, bis 2025 seien es sogar 83 Milliarden Euro.

Immerhin: Die Steuerschätzer gehen davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahr zusammen wieder mehr einnehmen als im Krisenjahr 2020. Am Ende dürfte ein Plus von rund 33,8 Milliarden Euro oder 4,6 Prozent stehen. Für die Jahre bis 2025 sind die Experten dann auch deutlich positiver gestimmt: In den fünf Jahren sollen 10 Milliarden Euro mehr in die Kassen kommen, als man im November dachte.

Grund für den Optimismus gibt vor allem die Wirtschaft. Dieses Jahr werde die Trendwende geschafft, kündigte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich an. Vor allem in der exportstarken Industrie läuft es gut, weil die Nachfrage aus Asien und den USA bereits kräftig anzieht. Außerdem dürfte hierzulande schnell wieder mehr konsumiert werden, sobald Lockdowns aufgehoben werden und sich die Menschen wieder sicherer fühlen. Trotzdem sei er dafür, die Wirtschaftshilfen noch einmal zu verlängern und den Unternehmen eine "klare Aussage bis Jahresende" zu machen, sagt Scholz.

Milliardenschwere Hilfen für die Wirtschaft sind der Hauptgrund, warum Scholz in diesem und im kommenden Jahr für den Bund noch einmal hohe Schulden aufnehmen will. Gerade haben Bundestag und Bundesrat ihm für das laufende Jahr Rekordkredite von 240,2 Milliarden Euro erlaubt. Kommendes Jahr sollen es 81,5 Milliarden sein. Erneut müsste der Bundestag dafür die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse außer Kraft setzen.

Doch vorher steht eine Bundestagswahl an - und die Schuldenbremse sowie das Damoklesschwert der Steuererhöhungen sind ein beliebtes Wahlkampf-Thema. Es gibt drei Stellschrauben, zu denen sich die Kanzlerkandidaten Scholz, Armin Laschet (Union) und Annalena Baerbock (Grüne) in den kommenden Monaten klar positionieren müssen: Weiter Schulden machen, um die Folgen der Pandemie abzufedern? Steuern erhöhen, um die Einnahmen aufzubessern - und wenn ja, für wen? Oder gar ein Sparprogramm, um die Schuldenbremse schnellstmöglich wieder einzuhalten?

Der Finanzpolitiker der Union, Eckhardt Rehberg, macht bereits jetzt klar: "Es ist kein Ausweis von Stärke, neue Ausgaben mit Schulden zu finanzieren, sondern der denkbar einfachste Weg." Stattdessen müsse eine Bundesregierung Maß halten und nicht immer neue Ausgaben versprechen. Die Grünen fordern eine Reform der Schuldenbremse, so dass bestimmte Investitionen über Kredite möglich sind. Nach der Pandemie dürfe es nicht zu einer Sparpolitik kommen, betonen sie.

FDP-Fraktionsvize Christian Dürr dagegen verurteilt Steuererhöhungen für Wohlhabende, wie Grüne, SPD und Linke sie fordern. Nur wenn Bürger am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche und Betriebe mehr Spielraum für Investitionen hätten, könne Deutschland nach der Krise aufholen. Die Linken sehen einen anderen Weg: "Schon vor der Steuerschätzung war klar, dass Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl kommen werden", sagt Finanzpolitikerin Gesine Lötzsch. "Die Frage ist nur, wer mehr zahlen muss."

Und Scholz, der Kanzlerkandidat der SPD? Er fühle sich in seiner Linie voll bestätigt, sagt er. Zupacken und Investieren in der Krise seien auch im Sinne künftiger Generationen. Scholz will höhere Steuern für Vermögende und die Schuldenbremse zwar nicht abschaffen, aber in den kommenden Jahren voll auszunutzen. Das heißt Schulden machen, denn einen gewissen Spielraum gibt auch die Regelung im Grundgesetz./tam/DP/fba

AXC0466 2021-05-12/17:16

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