Die Bundesregierung hat seit Jahresanfang Rüstungslieferungen für mehr als eine Milliarde Euro an die von Saudi-Arabien geführte Allianz im Jemen-Krieg genehmigt. Trotz der Exportbeschränkungen im Koalitionsvertrag von Union und SPD wurden zwischen dem 1. Januar und dem 5. Juni allein 13 Exporte für 801,8 Millionen Euro nach Ägypten und 43 Ausfuhren für 206,1 Millionen Euro an die Vereinigten Arabischen Emirate genehmigt. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Die Regierung erlaubte sogar zwei Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien, obwohl für das Land seit November eigentlich ein kompletter Exportstopp gilt. Dabei handelt es sich um die Lieferung von "sondergeschützten Geländewagen" für 831 003 Euro, wie der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Ulrich Nußbaum, mitteilte. Insgesamt wurden für die acht Länder der Allianz 122 Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 1,1 Milliarden Euro erteilt.

Grüne und Linke warfen der Regierung vor, mit ihrer Exportpolitik den Koalitionsvertrag zu brechen. "Die Jemen-Klausel im Koalitionsvertrag ist endgültig entlarvt als reines Placebo für die besorgte Öffentlichkeit", sagte Grünen-Rüstungsexpertin Katja Keul der dpa. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Sevim Dagdelen, sprach von einer "Irreführung der Öffentlichkeit". "Diese anhaltende Beihilfe zum Krieg im Jemen ist der Gipfel an menschenverachtendem Zynismus und außerdem ein Schlag ins Gesicht der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung." Einer aktuellen Umfrage im Auftrag von Greenpeace zufolge lehnen 81 Prozent die Rüstungsexporte an die am Jemen-Krieg beteiligten Staaten ab.

Saudi-Arabien hatte die Koalition überwiegend arabischer Länder 2015 geformt, um die jemenitische Regierung in ihrem Kampf gegen die vom Iran geförderten schiitischen Huthi-Rebellen zu unterstützen. Der Krieg hat in dem bitterarmen Land auf der arabischen Halbinsel die weltweit derzeit größte humanitäre Krise ausgelöst.

Die SPD drang vor diesem Hintergrund in den Koalitionsverhandlungen Anfang vergangenen Jahres auf einen Exportstopp für die an dem Krieg beteiligten Länder. Die Union willigte nur in eine deutlich abgeschwächte Formulierung ein: Rüstungslieferungen in "unmittelbar" beteiligte Länder wurden untersagt, bereits genehmigte Geschäfte wurden davon ausgenommen. Im November 2018 folgte ein kompletter Exportstopp für Saudi-Arabien, der nach der Tötung des saudischen Regierungskritikers Jamal Khashoggi verhängt wurde.

Er wurde im März lediglich für Zulieferungen für Gemeinschaftsprojekte mit Bündnispartnern leicht gelockert. Wenige Tage später wurde auf dieser Grundlage der Export von Technologie für Sattelschlepper nach Frankreich genehmigt, die letztendlich nach Saudi-Arabien geliefert werden sollen. Der Export der "sondergeschützten Geländewagen", der jetzt in dem Schreiben von Wirtschaftsstaatssekretär Nußbaum auftaucht, war dagegen bisher nicht bekannt. Das Wirtschaftsministerium erklärte am Sonntag auf Nachfrage dazu lediglich, dass es bei der Genehmigungspraxis für Saudi-Arabien "keinen neuen Stand" gebe.

Heikel sind auch die zahlreichen Exportgenehmigungen in die VAE. Die ölreichen Golfemirate führen die Allianz zusammen mit Saudi-Arabien an und haben Soldaten im Jemen stationiert. Bis Anfang Juni hat die Bundesregierung mit einem Volumen von 206 Millionen Euro trotzdem schon fast genauso umfangreiche Exportgenehmigungen für die VAE erteilt wie im gesamten Jahr 2017 - bevor die Jemen-Klausel in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Damals waren es 214 Millionen Euro.

Am vergangenen Mittwoch war mit dem Kronprinzen von Abu Dhabi, Scheich Mohammed bin Said Al Nahjan, der faktische Herrscher der VAE und einer der mächtigsten Männer der Golfregion bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Besuch. Die beiden vereinbarten in einer Erklärung mit 46 Punkten den Ausbau der strategischen Partnerschaft zwischen beiden Ländern. Darin wurde eine engere Kooperation etwa bei der Terrorismusbekämpfung, aber auch in vielen wirtschaftlichen Feldern vereinbart. Das heikle Thema Rüstungsexporte wurde allerdings ausgeklammert.

An dem Gesamtwert der Exporte an die acht Länder der Kriegsallianz ist keine zurückhaltendere Genehmigungspraxis als vor der Jemen-Klausel im Koalitionsvertrag von 2018 abzulesen. Im gesamten Jahr 2017 wurden Lieferungen für 1,3 Milliarden Euro an die Allianz genehmigt. Damals war mit Marokko sogar noch ein Land mehr dabei, das inzwischen ausgestiegen ist.

In diesem Jahr reichten gut fünf Monate, um die Milliarden-Marke zu erreichen. Neben Ägypten, den VAE und Saudi-Arabien wurden in vier weitere Staaten der Kriegsallianz Rüstungsexporte genehmigt: Kuwait (51 Genehmigungen im Gesamtwert von rund 70,9 Millionen Euro), Jordanien (6 Genehmigungen/rund 3,4 Millionen Euro), Bahrain (6 Genehmigungen/rund 217 000 Euro) und Sudan (1 Genehmigung/4116 Euro). Nur für den westafrikanischen Senegal wurden keine Exportgenehmigungen erteilt.

Innerhalb der Koalition zählt die Rüstungsexportpolitik zu den Hauptstreitthemen. Eigentlich wollten Union und SPD bis Ende 2018 die fast 20 Jahre alten Rüstungsexportrichtlinien überarbeiten, scheiterten aber an erheblichen Differenzen. Die Sozialdemokraten treten für eine restriktive Exportpolitik ein, während die Union durch zu strikte Regeln die Bündnisfähigkeit Deutschland gefährdet sieht. Merkel hatte bei einer Regierungsbefragung im Dezember eine neue Frist für eine Einigung gesetzt. "Ich verspreche Ihnen jetzt mal: Spätestens im ersten Halbjahr 2019 werden wir mit den Rüstungsexportrichtlinien fertig sein", sagte sie damals im Bundestag. Zwei Wochen sind noch Zeit./mfi/DP/fba

AXC0022 2019-06-16/15:10

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