Der Ton bei Thyssenkrupp wird rauer. Die neue Chefin Martina Merz will die Sanierung des kriselnden Traditionskonzerns rasch vorantreiben. Eine weitere Hängepartie können sich die chronisch klammen Essener auch nicht leisten. Was bei dem Unternehmen los ist, was die Aktie macht und was die Experten sagen.

DAS IST LOS BEI THYSSENKRUPP:

Hohe Verluste, keine Dividende für die Aktionäre: Für Thyssenkrupp endet ein turbulentes Geschäftsjahr ohne versöhnlichen Abschluss. Bei ihrem ersten Auftritt auf großer Bühne Ende November auf der Bilanzpressekonferenz zog Merz eine vernichtende Schlussbilanz der Arbeit ihrer Vorgänger. "Nicht zufriedenstellend", "viel zu wenig in der Umsetzung", "weit hinter den Ansprüchen zurück" - Die Ingenieurin hängte Kritikpunkt an Kritikpunkt und schloss: "So wie bisher kann es nicht weitergehen."

Zwei bis drei Jahre veranschlagt die Managerin, die den Konzern eigentlich höchstens zwölf Monate führen soll, für die Sanierung. Doch das kostet zunächst einmal. Da auch der konjunkturelle Rückenwind fehlt, dürfte Thyssenkrupp im neuen Geschäftsjahr 2019/20 noch tiefer in die Verlustzone rutschen.

Treffen wird der neue Kurs alle: Mitarbeiter, Manager, Aktionäre. Auf die mehr als 160 000 Beschäftigten kommen neue Unsicherheiten zu. Thyssenkrupp wird möglicherweise mehr als die bisher geplanten 6000 Arbeitsplätze streichen, räumte Personalvorstand Oliver Burkhard zuletzt ein. Gestrichen wird nahezu überall: In der Zentrale, im Stahl, im Autozulieferungsgeschäft.

Das neue Konzept sieht dabei viele Schritte vor, noch fehlen Details. Thyssenkrupp will sich wieder mehr auf seine Stammgeschäfte Stahl und Werkstoffhandel konzentrieren. Doch dafür ist die Situation derzeit ungünstig. Die Stahlindustrie leidet unter der schwachen Nachfrage in Europa und weltweiten Überkapazitäten. Bei Thyssenkrupp Steel ist der Gewinn massiv eingebrochen, der bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) sank zuletzt von 687 Millionen auf 31 Millionen Euro. Um sich die nötigen Investitionen leisten zu können, müsse der Konzern seinen Kosten arbeiten, sagte jüngst Vorstandsmitglied Klaus Keysberg. "Da werden alle ihren Beitrag leisten müssen".

Erste Einzelheiten sind bereits durchgesickert. Organisatorisch will der Vorstand den Stahlbereich in zwei Einheiten aufteilen und enger mit dem Handelsgeschäft zusammenarbeiten, wie aus einem Mitarbeiterbrief hervorgeht. Die Erzeugung soll von der Weiterverarbeitung getrennt werden. Dabei schließt der Konzern den Wegfall einzelner Anlagen nicht aus. Die Strukturen sollen schlanker werden. Thyssenkrupp will im Stahl so das operative Ergebnis "über die Jahre" um 600 Millionen Euro verbessern.

Zwei Felder stehen dabei auf dem Prüfstand: Das Geschäft mit Grobblechen und das mit Elektrostahl. Möglich sind hier eine Restrukturierung, eine Stilllegung oder ein Verkauf, wie es in dem Schreiben weiter heißt. Für die Grobblech-Sparte, für die Thyssenkrupp schon seit geraumer Zeit Alternativen prüft, sieht der Konzern dabei kaum Chancen für einen Verbleib. Diese sei "deutlich unrealistischer" als beim Elektrostahl, hieß es in dem öffentlich gewordenen Mitarbeiterbrief.

Auch in den anderen Feldern wird kräftig umgebaut. Der Verluste schreibende Anlagenbau soll operativ wieder in die Spur gebracht werden. Dabei prüft Thyssenkrupp die Möglichkeit, das Geschäft mit Partnern oder unter einem neuen Dach weiterzuentwickeln, und sucht Interessenten. Der Anlagenbau hatte sich zuletzt mit einigen Projekten verhoben, zudem fehlen Großaufträge. Das Komponentengeschäft will Thyssenkrupp in ein reines Autozuliefergeschäft umwandeln. Bislang fertigt das Unternehmen auch für andere Industrien wie etwa die Windkraft. Über Partnerschaften oder mögliche Portfolio-Maßnahmen soll dann später diskutiert werden.

Finanziert werden soll die Sanierung durch einen Verkauf der Aufzugssparte. Wie das geschehen soll - ob Ganz- oder Teilverkauf oder doch über einen Börsengang - will Thyssenkrupp im ersten Quartal des kommenden Jahres entscheiden. Zahlreiche Investoren haben bereits Interesse bekundet, sowohl Wettbewerber als auch Finanzinvestoren. Analysten trauen dem Aufzuggeschäft einen Wert von bis zu 17 Milliarden Euro zu. Auf einem am kommenden Mittwoch stattfindenden Investorentag wird die Sparte im Mittelpunkt stehen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Nach dem enttäuschenden Abschneiden Thyssenkrupps, dem Ausfall der Dividende sowie dem mauen Ausblick senkten Analysten reihenweise ihre Kursziele. Dabei nehmen die Experten momentan eine mehrheitlich abwartende Haltung ein. Der Konzernumbau ist das bestimmende Thema, in einem möglichen Börsengang der Aufzugsparte sehen sie schon seit längerem ein großes Potenzial. In der Kritik steht Thyssenkrupp wegen der schwachen Bilanzkennzahlen und der hohen Verschuldung.

Der Industriekonzern habe einen länger dauernden Restrukturierungsprozess vor sich, schrieb Analyst Christian Obst von der Baader Bank. Er rechnet damit, dass noch einige Quartale ins Land ziehen werden, bis sich eine deutlichere Sicht auf die neue Konzernstruktur abzeichnen werde. Alternativen zum Umbau sieht er nicht.

Insgesamt sehen die Experten die Neuausrichtung positiv. Allerdings gehen sie von keinen schnellen Erfolgen aus. So erwartet Holger Fechner von der NordLB, dass die Umsetzung gerade in dem sich eintrübenden konjunkturellen Umfeld erst mittelfristig von Erfolg gekrönt sein dürfte. Mit Spannung wird der Kapitalmarkttag in der kommenden Woche erwartet. Er böte eine Plattform, um einen möglichen Börsengang der Aufzugsparte im ersten Halbjahr kommenden Jahres anzukündigen, notierte Christian Georges von der französischen Großbank Societe Generale jüngst in einer Studie.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie ist ein Trauerspiel. Im August war das Papier unter 10 Euro gefallen, danach erholte es sich wieder. Am Tag der enttäuschenden Bilanzpressekonferenz brach der Kurs um mehr als zehn Prozent ein. Erholt hat sich die Aktie davon nicht, seit der Vorlage der Jahreszahlen kommt sie auf ein Minus von rund 15 Prozent.

Analysten haben ein durchschnittliches Kursziel von 14,46 Euro auf dem Zettel. Derzeit kostet das Papier etwas mehr als 11 Euro. Von ihrem Rekordhoch von 46,92 Euro im Winter 2007 ist die Aktie meilenweit entfernt.

Nach dem Abstieg aus dem Dax im September gehört Thyssenkrupp auch im Mittelwertesegment MDax zu den großen Verlierern. Mit einem Kursminus von rund 23 Prozent in diesem Jahr belegt das Unternehmen einen der hinteren Plätze. Der MDax selbst konnte in diesem Zeitraum um gut ein Viertel zulegen. Der Rauswurf aus der obersten deutschen Börsenliga war für Thyssenkrupp eine Zäsur am Kapitalmarkt - so war mit Thyssen ein Teil des 1999 mit Krupp fusionierten Unternehmens seit dem ersten Tag des deutschen Leitindex' im Jahr 1988 dabei gewesen./nas/eas/fba

 ISIN  DE0007500001

AXC0048 2019-12-06/08:41

Copyright dpa-AFX Wirtschaftsnachrichten GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung von dpa-AFX ist nicht gestattet.