Die Bundesregierung will nach überstandener Corona-Krise und einem Einbruch der Wirtschaft mit einem weiteren Konjunkturprogramm die Weichen für einen raschen Wiederaufschwung stellen. "Wir wollen sicherstellen, dass - wenn wir die Gesundheitskrise bewältigt haben, wenn wir die Arbeitsplätze, die Unternehmen gesichert haben, wenn es wieder aufwärts geht - das auch unterstützt wird mit konjunkturellen Maßnahmen", sagte Finanzminister Olaf Scholz am Donnerstag. Nach den Worten von Kabinettskollege Peter Altmaier soll die Wirtschaft nach der Pandemie wieder "durchstarten".

Auch die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit einem Einbruch der Konjunktur - und damit nach zehn Aufschwungjahren erstmals wieder mit einer Rezession. Die Einschnitte würden mindestens so stark, wenn nicht stärker als im Krisenjahr 2009, sagte Altmaier. Damals war das Bruttoinlandsprodukt um 5,7 Prozent gesunken. Schon jetzt verzeichnen Bund und Ländern einen Ansturm auf Soforthilfen. Erste Finanzspritzen in Milliardenhöhe wurden ausgezahlt. Die EU-Kommission will sich für ihr Kurzarbeitmodell weitere 100 Milliarden Euro am Markt leihen.

"MÜSSEN MIT TIEFEN EINSCHNITTEN RECHNEN"

"Wir müssen mit tiefen Einschnitten beim Wirtschaftswachstum rechnen", sagte Wirtschaftsminister Altmaier. Eine Prognose für 2020 gab der CDU-Politiker nicht ab. Es sei davon auszugehen, dass die Wirtschaft in einzelnen Monaten mehr als 8 Prozent einbrechen könne. Der Höhepunkt der Krise werde wohl im April und Mai sein. Es gebe Hoffnung, dass sich die Lage im zweiten Halbjahr normalisiere. Voraussetzung dafür sei, dass die erheblichen Einschränkungen in "hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft" aufgehoben werden könnten.

IMK-Forscher rechnen 2020 im Jahresschnitt mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4,0 Prozent. Diese "optimistische Erwartung" sei nur möglich, wenn die Beschränkungen ab Anfang Mai gelockert werden. Die "Wirtschaftsweisen" halten eine schnelle Erholung für wahrscheinlich. Im Basisszenario rechnen sie damit, dass die größte Volkswirtschaft Europas 2020 um 2,8 Prozent schrumpft. Im schlimmeren Fall sei ein Minus von 5,4 Prozent denkbar.

NACH DER KRISE "DURCHSTARTEN" - INVESTIEREN UND KONSUMIEREN

Beim Nach-Krisen-Programm muss es laut Scholz eine Politik geben, "in der hohe Investitionen eine Rolle spielen und in der der Sozialstaat ausgebaut und nicht zurückgebaut" werde. Er sieht auch Unternehmen in der Pflicht. Die Firmen, die jetzt vom Staat unterstützt würden, dürften diese Solidarität nicht vergessen, so der SPD-Politiker. Das gewerkschaftsnahe IMK fordert eine Aufstockung von Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld. "Es wird extrem wichtig sein, die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder auf Touren zu bringen", sagte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien. Der Privatkonsum sei als zentrale Starthilfe für den Konjunkturmotor entscheidend: "Die Menschen sollten also Geld in der Tasche haben, wenn die Läden wieder öffnen."

GEWALTIGE NACHFRAGE NACH KREDITPROGRAMM

Die Nachfrage nach dem Kreditprogramm des Bundes ist nach Angaben der staatlichen Förderbank KfW gewaltig. 2500 Anträge mit 10,6 Milliarden Euro Gesamtvolumen hat das Institut nach Angaben von KfW-Chef Günther Bräunig bisher entgegengenommen. In den meisten Fällen geht es um Kredite bis zu drei Millionen Euro, für die vereinfachte Bedingungen gelten. Knapp 2100 Anträge seien schon bewilligt, 750 Millionen Euro zugesagt. Der KfW-Vorstand hält es derzeit für wahrscheinlich, dass im Rahmen des bis zum Ende dieses Jahres laufenden Sonderprogramms Kredite um die 50 Milliarden Euro zugesagt werden. Auch eine Summe bis 100 Milliarden Euro könne nicht ausgeschlossen werden.

Seit dem 23. März können Firmen Mittel aus dem KfW-Sonderprogramm bei ihrer Hausbank beantragen. Die staatliche Förderbank - und damit die öffentliche Hand - übernimmt den Großteil des Risikos für den Fall, dass Unternehmer das Geld nicht zurückzahlen können. Bei Betriebsmittelkrediten und Investitionen kleiner und mittlerer Unternehmen trägt die KfW 90 Prozent des Kreditrisikos. Bei größeren Firmen sind es 80 Prozent. Für Kredite bis drei Millionen Euro pro Unternehmen verzichtet die KfW auf eine eigene Risikoprüfung. Bei Summen bis zehn Millionen Euro gibt es eine vereinfachte Prüfung.

Aus der Wirtschaft wurden wiederholt Klagen laut, die Gelder kämen nicht schnell genug bei Unternehmen an. Zudem gibt es Forderungen, die Bundesregierung solle die Hilfskredite zu 100 Prozent absichern.

LÄNDER MIT ANTRAGSFLUT VON SELBSTSTÄNDIGEN UND KLEINUNTERNEHMERN

In zehn Bundesländern wurden bis Dienstagabend mehr als 118 000 Anträge auf Soforthilfe von Selbstständigen und Kleinunternehmern bewilligt, wie eine Länderumfrage ergab. Hinzu kamen noch 300 000 Anträge, die allein in Nordrhein-Westfalen bis Donnerstagvormittag bewilligt wurden. Mindestens vier Milliarden Euro flossen bis Donnerstag an in Not geratene Firmen. In dreizehn Ländern summierte sich die Zahl der bei den Landesförderbanken eingegangenen Anträge auf mehr als 964 000. Nach ersten Meldungen zeichnete sich ab, dass besonders Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern sowie Solo-Selbstständige und Freiberufler die Hilfen in Anspruch nehmen.

Seit Montag können Länder Bundesmittel abrufen, um Zuschüsse für kleine Firmen und Selbstständige unbürokratisch auszuzahlen. Firmen mit bis zu fünf Beschäftigten bekommen eine Einmalzahlung von 9000 Euro für drei Monate, Firmen mit bis zu zehn Beschäftigten 15 000 Euro. Darüber hinaus gibt es in jedem Bundesland eigene Regeln.

EU-PLAN FÜR KURZARBEITER

Die EU-Kommission will mit Rückendeckung der EU-Staaten 100 Milliarden Euro Schulden aufnehmen und sie in Form von Krediten für Kurzarbeiterhilfen weiter geben. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach zudem weitere Unterstützung für das Gesundheitswesen, für Fischer und für sozial benachteiligte Menschen. Darüber hinaus will sie das nächste mehrjährige EU-Budget zum "Marshall-Plan" für Europa umbauen. "In dieser Coronavirus-Krise werden nur die stärksten Antworten ausreichen", sagte von der Leyen. Schon jetzt hätten die EU und ihre Mitgliedsstaaten 2,7 Billionen Euro gegen die Pandemiekrise mobilisiert. Für ihre neuen Vorschläge braucht von der Leyen die Zustimmung der EU-Staaten und des Parlaments. Gemeinsame Schulden sind politisch ein heißes Eisen./sl/tam/hoe/DP/nas

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