BÖRSE EXPRESS: Kürzlich wurde in Russland eine neue Regierung präsentiert. Wie schätzen Sie die Folgen für Investoren ein?

ALEXANDRE DIMITROV: 2014 bis 2019 waren Jahre, um Stabilität zu gewährleisten: Russlands Verschuldung fiel um zirka ein Drittel - von 733 Milliarden auf weniger als 480 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig sind die Fremdwährungsreserven auf 550 Mrd. gestiegen, ein 10 Jahres-Höchststand). Dazu kommt, dass Russland Budget-, Leistungsbilanz- und Handelsbilanz-Überschüsse schreibt. Das heißt, die Regierung wird es sich leisten können, fiskalpolitische Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirtschaft zu unterstützen - und das aus eigenen Ressourcen.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie sieht es mit den Entwicklungen von Konjunktur und Währung in Russland aus? Welche Maßnahmen wurden gesetzt, z.B. von der Zentralbank, und wo gibt es noch Baustellen?

ALEXANDRE DIMITROV: Die alte Regierung von Medwedew wurde als zu langsam und zu unsicher in der Umsetzung gesehen. Im Fokus der neuen Regierung stehen zwei Bereiche, erstens, die Wirtschaft wieder wachsen zu lassen und zweitens, die Lebensstandards zu verbessern. Dazu wurden schon größere Investitionen für die Jahre 2019 bis 2024 geplant: insgesamt 25.725 Milliarden Rubel (Anm: rund 70 Mrd. US-Dollar) im Schnitt der nächsten fünf Jahren, wovon etwa 25 Prozent in Infrastruktur, 19 Prozent in Highways und 16 Prozent in Ökologie fließen. Weiters werden etwa 19 Prozent in die Bereiche Demographie und Gesundheit, 6,4 Prozent in Digitalisierung investiert, der Rest wird für Exportunterstützung, Ausbildung, Wissenschaft, KMUs usw. verwendet.

Die Zentralbank in Russland verfolgt eine rigorose monetäre Politik. Sie ist erstens seit 2014 auf eine freikonvertierbare Währung und seit 2015 auf ein Inflationsziel von unter 4 Prozent fokussiert. Zweitens möchte sie das Finanz- und Bankensystem sanieren und rehabilitieren. Hunderte von Bank-Lizenzen wurden bereits entzogen und dieser Prozess wird sich fortsetzen. Drittens arbeitet die Bankenaufsicht nach dem strengerem Regelwerk Basel III und viertens verfügt Russland über eine Kapitalmarktinfrastruktur und nationale Rating-Agenturen. Last but not least gibt es Corporate Governance-Regeln (Anm. z.B. Risk Management, internal audit rules). Alles in allem wurden die richtigen Schritte gesetzt und dieser Prozess geht weiter. Für Investoren ist dies positiv.

 

BÖRSE EXPRESS: Wie schätzen Sie die Aussichten bezüglich Wirtschaft, Währung und Zinsen für 2020 ein?

ALEXANDRE DIMITROV: Das BIP-Wachstum sollte in den nächsten drei Jahren bei etwa zwei Prozent im Schnitt liegen. Die Währung hat sich stabilisiert und die Inflation sollte auch unter Kontrolle sein, mit 3,5 bis 3,8 Prozent Ende 2020. Konsens herrscht derzeit darüber, dass die Zentralbank die Zinsen um ca. 50 Basispunkte auf 5,75 Prozent in diesem Jahr senken kann. Alles in allem sollten sich höheres Wachstum - dies brauchen die Aktienmärkte nach der guten Performance 2019 auch - niedrigere Zinsen, stabilere Währung und steigende Investitionen positiv auf die Kapitalmärkte auswirken. Die externen Risiken wie niedrige Rohstoffpreise, Geopolitik, globales Wachstum sind die gleichen geblieben.

 

BÖRSE EXPRESS: Die russische Börse war in den letzten Jahren, vor allem 2019, einer der Top-Performer. Die Bewertungsabschläge zu den anderen Schwellenländern sind aber nach wie vor groß. Womit hängt das zusammen?

ALEXANDRE DIMITROV: Die Bewertung ist Abbild der Erwartungen und Risikowahrnehmung der Investoren. Seit 2014, der Krim- und Ukrainekrise, hat der Markt zu kämpfen. Einerseits wird die Börse in Moskau als eine Art von Value-Investing angesehen – es dominieren Sektoren wie Energie, Rohstoffe und Finanzen. Keiner dieser Sektoren war im Fokus. Andererseits werden die Risiken drastisch höher eingestuft. Sanktionen, und Angst vor Sanktionen haben diesen Effekt verschärft. Der Durchbruch war meiner Meinung nach die Erhöhung der Dividendenzahlungen. Dass Firmen bereit sind, ihre Gewinne mit Minderheitsaktionären zu teilen, ist natürlich positiv. Heutzutage zahlen staatsnahe Betriebe 50 Prozent der Gewinne aus. Das Finanzministerium konnte das 2018/19 durchbringen. Anleihen- und Aktienrückkaufprogramme wurden von den Investoren honoriert, wie bei Lukoil.

 

BÖRSE EXPRESS: Wo liegen die größten Chancen und Risiken für Investoren am russischen Aktienmarkt?

ALEXANDRE DIMITROV: Makroökonomische Stabilität, eine rigorose monetäre Politik plus sinkende Zinsen und mehr Investitionen in den nächsten drei Jahren sind gute Voraussetzungen für die Marktentwicklung. Wir sind daher auch für die Performance 2020 positiv gestimmt. Zwar ist die Umsetzung des Regierungsprogramms ein Risiko, aber meiner Meinung nach ist vieles noch nicht eingepreist. Dienstleistungen und konsumorientierte Sektoren werden in unserem Fokus stehen – Sberbank in Finanzen, LSR, Etalon bei Immobilien, Yandex im Technologiebereich oder Magnit und Detsky Mir im Einzelhandel sind gute Beispiele.

Russland ist reich an Ressourcen, also gibt es in diesem Bereich auch sehr gute und erfolgreiche Unternehmen. Nehmen wir Norilsk Nickel - das ist einer der größten Palladium-Produzenten der Welt mit rund 40 Prozent Marktanteil weltweit. Palladium und Nickel werden bei der Batterieherstellung für Elektroautos benötigt.

 

BÖRSE EXPRESS: Ist eigentlich ESG bei russischen Unternehmen ein Thema?

ALEXANDRE DIMITROV: Ja und wie! Und es gibt auch gute Beispiele: MSCI ESG (Environmental, Social & Corporate Governance) Research hat einige der großen Unternehmen bewertet und formale Ratings vergeben: z.B. A Ratings für InterRao (Versorger) und Polymetal (Goldproduzent), ‚BBB‘ für Gazprom, Novatek, Lukoil, Polyus Gold und Novolipetsk.

Die meisten Unternehmen müssen aber aufholen. Diese Entwicklung verfolgen wir mit Interesse, weil ESG für uns alle, Investoren, Unternehmen, Regierungen, Konsumenten, schon heute einer der wichtigsten Trends der Zukunft ist. Die Erste AM hat intern einen ESG Ansatz entwickelt, der auch für Investitionen in Russland gilt. < Die meisten Unternehmen müssen aber aufholen. Diese Entwicklung verfolgen wir mit Interesse, weil ESG für uns alle, Investoren, Unternehmen, Regierungen, Konsumenten, schon heute einer der wichtigsten Trends der Zukunft ist. Die Erste AM hat intern einen ESG Ansatz entwickelt, der auch für Investitionen in Russland gilt. 

 

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