Börse Express: In den vergangenen Jahren hat der Gesundheitssektor andere Sektoren wie etwa Finanz und Energie stark outperformt, innerhalb der Branche driften die Bewertungsniveaus stark auseinander. Wie beurteilen Sie die aktuelle Bewertung des Biotech-Sektors?  

Jürgen Harter: Die Biotechnologie ist eine der zentralen Wachstumsbranchen des 21. Jahrhunderts. Die niedrige Bewertung ist fundamental nicht gerechtfertigt und bietet deshalb strategischen Investoren interessante Investitionsmöglichkeiten. 

Im Bereich Medikamente gegen das COVID-19-Virus gibt es mehrere unterschiedliche Ansätze und Ziele. Welche sind derzeit die vielversprechendsten? 

Große Hoffnungsträger zur Behandlung von COVID-19-Infizierten sind die Antikörper-Therapien. So erhielt das Präparat vom Pharma-Konzern Lilly jüngst die FDA-Notfallzulassung. Zudem befindet sich der antivirale Wirkstoff Remdesivir vom Biotech-Unternehmen Gilead bereits am Markt. 

Was sind aktuell die größten Herausforderungen bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen COVID-19 hinsichtlich Wirksamkeit und Umsetzung und wie begegnet man ihnen? 

Die ersten Wirksamkeitsdaten von BioNTech/Pfizer sind sehr vielversprechend und liegen mit einer Effektivität von 90 Prozent deutlich über den Erwartungen. Allerdings gibt es noch offene Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit in einer Langzeitbetrachtung. Hierzu müssen weitere Studienergebnisse abgewartet werden. Darüber hinaus bestehen noch Herausforderungen im Hinblick auf die Logistik und die Produktionskapazitäten. Das Vakzin von BioNtech/Pfizer muss derzeit bei -70 Grad Celsius gelagert werden. Lediglich für fünf Tage ist eine Lagerung in herkömmlichen Kühlschränken möglich. Folglich gibt es Bestrebungen, die Stabilität von mRNA-Impfstoffen zu verbessern, sodass eine Lagerung auch bei höheren Temperaturen möglich wird. Ein weiteres Problem stellt die aktuelle Herstellungskapazität dar. Bis Jahresende werden lediglich 50 Mio. Dosen verfügbar sein, für das Gesamtjahr 2021 spricht BioNtech/Pfizer von 1,3 Mrd. Einheiten. Um eine Schutzwirkung zu erzielen, müssen jeweils zwei Impfungen erfolgen. 

In der Regel vergehen fünf bis zehn Jahre, bis ein Impf- bzw. Wirkstoff zugelassen wird. Welche Risiken bestehen, wenn, wie immer wieder angekündigt, bereits in den nächsten Monaten Zulassungen von Medikamenten und Impfstoffen gegen COVID-19 möglich sind?  

Die Ergebnisse aus den Studien von BioNTech/Pfizer zeigen bislang keine Sicherheitsprobleme. Dennoch können bei einer Ausweitung der Zahl an Impfstoffempfängern Nebenwirkungen auftreten, die bislang noch nicht erkennbar waren. Für eine ausführliche Evaluierung der Sicherheit sind somit längere Beobachtungszeiträume notwendig. Außerdem ist noch unklar, wie sich die Wirksamkeit im Detail darstellt: Wie ist die Schutzwirkung bzgl. schwerer Verläufe? Wie ist die Wirksamkeit bei Risikogruppen? Wie lange hält die Schutzwirkung an? Diese Fragen werden sicher in den nächsten Monaten sukzessive beantwortet werden können. 

Abgesehen von der COVID-19-Erkrankung, welche anderen Krankheiten werden derzeit am meisten beforscht bzw. welche sind die aussichtsreichsten Kandidaten für Therapie- bzw. Heilungschancen und bei welchen innovativen Medikamenten sehen Experten die größten Umsatzzuwächse in den nächsten Jahren? 

Therapien gegen Krebserkrankungen stellen einen Forschungsschwerpunkt dar. Bei ca. 10 Mio. Todesfällen pro Jahr weltweit ist die Notwendigkeit, bessere Krebsmedikamente zu entwickeln, von hoher Bedeutung. Deshalb sehen wir ein starkes Wachstum bei neuen onkologischen Produkten. Im letzten Jahr zeigte der Bereich in den USA eine Umsatzsteigerung von 13,5 Prozent auf 143 Mrd. USD. Bis zum Jahr 2024 wird weiterhin ein zweistelliges Plus p.a. auf dann ca. 250 Mrd. USD Jahresumsatz erwartet. 

Bei der Entwicklung von neuen Wirkstoffen haben die Small Caps im Biotech-Bereich die Nase vorne, denn die meisten Substanzen in der Late-Stage Pipeline stammen aus ihren Forschungslaboren. Zudem sind sie die primären Übernahmeziele und Kooperationspartner von großen Pharmafirmen. Welche interessanten Übernahmen gab es in den letzten Wochen?  

Seit Ende August konnten wir im MEDICAL BioHealth drei Übernahmen verzeichnen, dabei wurden Kursaufschläge zwischen 61 und 174 Prozent gezahlt. Mit Immunomedics wurde ein Unternehmen übernommen, das modifizierte Antikörper zur zielgerichteten Krebsbekämpfung entwickelt. Zudem erwarb Bristol-Myers Squibb die Biotech-Firma Myokardia, um sich deren Produkt zur Behandlung bestimmter kardiovaskulärer Erkrankungen zu sichern. Der dritte im Bunde war Aimmune, ein Unternehmen, das ein Produkt gegen Erdnussallergie entwickelt hat. Wir erwarten, dass sich der Trend zum Kauf von Unternehmen mit innovativen Produkten fortsetzen wird. 

Das attraktive Segment der Biotech-Small Caps ist im MEDICAL BioHealth stark vertreten. Welche anderen Segmente des Gesundheitssektors favorisiert der Fonds und warum?  

Neben dem genannten Bereich investieren wir auch stärker in den Bereich Emerging Pharma. Hierbei handelt es sich um Arzneimittelhersteller, die z. B. durch eine innovative Technologie bestehende Therapien in der Wirkung oder Verabreichung verbessern. So könnte zum Beispiel ein Medikament, das heutzutage noch injiziert werden muss, in Zukunft als Tablette eingenommen werden. 

Welche sind die wichtigsten Kriterien für ein Investment im Fonds?  

Wichtigstes Investitionskriterium ist der Innovationsgrad. Das Produkt muss in der Lage sein, neue Standards in der Therapie zu setzen. Daneben sollte es sich nahe am Markt befinden. Weiterhin wichtig ist der Eindruck, den wir vom Management haben und dass das Unternehmen über ausreichend Cash verfügt, um das Produkt bis zu einem Zulassungserfolg zu bringen. Natürlich spielt auch die Unternehmensbewertung eine große Rolle. 

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Harter.