Börse Express: Wie schaut die regulatorische Grundlage für die Tokenisierung aus? Welche Entwicklungen hat es diesbezüglich in den letzten Jahren in der EU gegeben?

Ronald Frankl (RF): Nicht viele. Wir haben seit 2018 die fünfte Geldwäscherichtlinie, mit der der Anwendungsbereich auf Plattformen zum Umtausch virtueller Währungen sowie Anbieter von elektronischen Geldbörsen (Wallets) bzw. Konten für virtuelle Währungen ausgedehnt wird. Ansonsten hat die Europäische Kommission 2020 einen ersten Entwurf für eine Verordnung (VO) zur Regulierung der “Markets in Crypto-Assets” (MiCA) vorgelegt, die 2022 in Kraft treten soll. Hier muss ich aber gleich vorausschicken, dass diese Verordnung für die Tokenisierung irrelevant ist.

Und warum?

RF: Weil die Tokens, von denen wir hier reden, also klassische Security Tokens, die im Rahmen von Security Token Offerings (STO) ausgegeben werden, als Finanzinstrumente ausdrücklich von der MiCA-VO ausgenommen sind. Sie unterliegen weiterhin insbesondere dem Regime der MiFID II, in Österreich also dem WAG 2018. Die MICA-VO regelt hingegen drei Typen von Tokens: den Asset-Referenced Token, den E-Money Token und den Utility Token. Asset-Referenced Tokens sind wertstabile Tokens, nicht zu verwechseln mit Asset Tokens, über die wir bei der Tokenisierung reden, denn letztere vermitteln wertpapierähnliche Rechte. E-Money Tokens sind sogenannte Stable Coins, die direkt an gesetzliche Währungen gebunden sind und sich daher auch als Zahlungsmittel eignen. Utility Tokens kennen wir am längsten, die haben eine Art Gutscheinfunktion. Diese drei Token-Typen sind derzeit noch nicht geregelt. Für die Ausgabe der Asset Tokens ist dagegen das jetzige Kapitalmarkt-/Aufsichtsrecht sehr wohl anwendbar, wiewohl nach meiner Ansicht hierzu maßgeschneiderte Bestimmungen gegenüber den derzeitigen MIFID-Regeln ebenso zu bevorzugen wären. Also 1:1 die derzeitige Regulierung darüberzustülpen, das ist meiner Meinung nach nicht die, auf lange Sicht, optimale Lösung. Hier braucht es vielmehr eine smarte Regulierung.

Sprechen wir über die Perspektiven. Lässt sich die Digitalisierung von Assets noch aufhalten?

RF: Nein, sicherlich nicht. Hätte man das aufhalten können, wären wir heute nicht in einer Situation, in der der Bitcoin im letzten halben Jahr von 9.000 auf zeitweise fast 50.000 Euro gestiegen ist. Und dieses Thema wird immer relevanter. Nehmen Sie nur das ABC, das Austrian Blockchain Center in Wien. Das ist das weltweit größte Blockchain-Kompetenzzentrum und bündelt die umfassenden interdisziplinären Kompetenzen im Bereich der Grundlagen und der Anwendung von Blockchain-Technologien. Vor kurzem hat dessen jährliche Konferenz stattgefunden, die online äußerst gut besucht war. Das Thema interessiert also sehr. Natürlich gibt es auch heute immer noch Leute, die es totreden wollen und Bitcoin & Co. in die anrüchige Ecke drängen. Vielleicht war das mal so, aber heute werden Bitcoins bereits von großen institutionellen Investoren gekauft und die sind Teil des traditionellen Finanzsystems. Vor zwei Jahren haben die noch die Finger davon gelassen, in der Zwischenzeit aber entdeckt, was für Potenzial drinnen steckt.

Was braucht es derzeit, um dem Thema einen Schub nach vorne zu versetzen und kann da Corona etwas Positives bewirken?

RF: Es braucht ein Leuchtturmprojekt und dazu könnte die Pandemie, auf lange Sicht gesehen, etwas beitragen. Corona hat das Thema Digitalisierung jedenfalls in den Köpfen der Menschen beschleunigt. Um auch die Tokenisierung von Assets auf den Weg zu bringen, muss die massive Krise allerdings vorbei sein.

Was könnte denn so ein Leuchtturmprojekt sein?

RF: Vor allem großvolumige Finanzierungen oder große Entwicklungsprojekte im Liegenschafts- und/oder Tourismusbereich, also solche Projekte, die zwar bereits beabsichtigt oder geplant, aber krisenbedingt vorerst „on hold“ sind.

Wenn wir schon bei Liegenschaften sind, wo ist denn eigentlich hier der Mehrwert der Tokenisierung?

RF: In der Zuführung der Liquidität, und zwar für beide, den Eigentümer und den Investor. Sie entsteht durch die Stückelung etwa einer Immobilie in beispielsweise 100.000 Tokens, die man an einer Exchange-Plattform handelbar machen und listen, sprich jederzeit kaufen und verkaufen kann.

Aber ein Immobilienfondsanleger kann letzteres auch. Wo ist da der Unterschied?

RF: Bei einem Immobilienfonds geht es immer um ein Portfolio von Immobilien, das heißt als Investor beteilige ich mich am Portfolio. Hier denke ich aber an ein Hotel oder an ein großes Bestandsobjekt mit Mietbüros und Wohnungen, wo regelmäßige Einkünfte generiert werden, die dann auch an den Tokeninhaber weitergegeben werden. Das macht Sinn. Und der Investor kann den Token auch verkaufen, denn der hat einen Marktwert. Und der ist höher, gerade wegen der Liquidität. Eine liquide Sache hat immer einen höheren Marktwert als eine illiquide.

Apropos Exchange-Plattformen. Was ist das und gibt es die schon?

RF: Die sind gerade in Entwicklung. Es wäre auch denkbar, dass eine solche von einer bereits aktiven Börse betrieben wird, in Deutschland ist die Stuttgarter Börse drauf und dran. Da gibt es aber derzeit noch Schwierigkeiten, weil die aktuelle deutsche Gesetzeslage die Tokenisierung verhindert. Zum Beispiel ist es für tokenisierte Aktien nach dortigem § 9 Depotgesetz nicht möglich, die Globalurkunde in digitaler Form zu hinterlegen. Das heißt, hier braucht es einen eindeutigen und transparenten Rechtsrahmen, der es der Blockchain-Technologie ermöglicht, sich zu entfalten. Aber mit der neuen MiCA-VO besteht die Hoffnung, dass ein Rechtsrahmen geschaffen wird, damit diese Exchange-Plattformen sinnvoll gestaltet werden können. Exchange-Plattformen können aber auch Unternehmen sein, die die Voraussetzungen einer Börse erfüllen. Für Wien wäre das meiner Meinung nach eine tolle Chance. Da habe ich allerdings den Eindruck, dass die Wiener Börse das eher kritisch sieht.

Gehen wir wieder zurück zu den Perspektiven der Tokenisierung. Gibt es noch andere?

RF: Ja, denn die „Liquiditätsphantasie“ ist nicht die einzige Perspektive. Um eine strukturierte Finanzierung aufzustellen, kann ich z.B. Genussrechte tokenisieren. Diese lassen sich in einer Weise ausgestalten, dass das Kapital, das damit reinkommt, beim Emittenten in der Bilanz als Eigenkapital ausgewiesen werden kann. Es kann also Eigenkapital aufgenommen werden, ohne dass dabei in die Gesellschafter- und somit die Mitbestimmungsstruktur der Gesellschaft eingegriffen wird. Für die Genussrechtsinhaber besteht der Vorteil darin, dass sie insgesamt mit einem relativ hohen Anteil an den Erträgen der Emittentin beteiligt sind. Das Ganze ist zwar auch mit traditionellen Genussrechten möglich, aber die Tokenisierung via Blockchain-Technologie ist viel praktikabler. Bedarf bei den Unternehmen besteht jedenfalls.

Wo stehen wir also in der Entwicklung hin zur Digitalisierung von Assets?

RF: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin auf jeden Fall jetzt realistischer. Denn während ich vor einigen Jahren noch dachte, es wird viel schneller gehen, denke ich nun, die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten, aber es ist ein langsamer Prozess. In den letzten drei Jahren hat sich viel Positives getan, was das Mindset, also die Einstellung gegenüber Digital Assets, anbelangt. Aber die Schleusentore werden sich erst mit einem Leuchtturmprojekt öffnen. Die Schätzungen, die für 2027 von einem Marktpotenzial für Digital Assets von 24 Billionen US-Dollar ausgehen, sind jedenfalls schon mehr als eine Vision. Derzeit fehlen noch technische und rechtliche Voraussetzungen. So ist z.B. auch die zivilrechtliche Dimension der Tokenisierung völlig ungeklärt. Sprich, wann geht bei einer Übertragung eines Token das Eigentumsrecht über? Darauf gibt es noch keine rechtlich präzise Antwort.

Sehr geehrter Herr Frankl, vielen Dank für das Gespräch.

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