OFFENBACH (dpa-AFX) - Rund eineinhalb Wochen nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands haben die Menschen in der Region am Wochenende etwas aufatmen können. Neue Unwetter und Überschwemmungen, die befürchtet worden waren, blieben aus. Politiker machen sich unterdessen Gedanken um das Warnsystem in Deutschland: Wie lässt sich verhindern, dass Unwetter so schwerwiegende Folgen haben? Bei der Katastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen starben mindestens 179 Menschen, Dutzende werden noch immer vermisst.

Mit Sorge hatten die Menschen - vor allem in einigen Orten in Rheinland-Pfalz - auf die Wettervorhersagen für das Wochenende geblickt. In mehreren Orten bekamen die Anwohner das Angebot, mit Shuttlebussen in eine Notunterkunft gebracht zu werden.

Heftiger erwischte es an diesem Wochenende das Saarland, den Süden und Südwesten Deutschlands. Dort gewitterte und regnete es kräftig. In Stuttgart gab es Überschwemmungen in Teilen der Innenstadt, in mehreren Gemeinden im Kreis Heilbronn knickten Bäume um. Im Kreis Ludwigsburg wurden Straßen überschwemmt und Gullydeckel hochgehoben. Zudem blieb ein Auto in einer überschwemmten Straße stecken, das Wasser stand einen halben Meter hoch. Die Insassen kletterten auf das Autodach und wurden von der Feuerwehr befreit.

Auch am Sonntag wurden Gewitter erwartet, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg. An den Alpen und am Bodensee sollten laut DWD gar mehrere Gewitter nacheinander über einzelne Orte hinwegziehen.

Um bei schweren Unwettern künftig besser vorbereitet zu sein, macht sich die Politik Gedanken über das Warnsystem in Deutschland. "Wir brauchen weniger Zuständige und kürzere Meldewege", sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) der "Bild am Sonntag". "Und wir müssen klären, wie oft und mit welcher Intensität gewarnt wird. Einige Apps melden jedes Gewitter - mit der Folge, dass die Menschen abstumpfen und eine große Gefahr gar nicht mehr ernst nehmen."

Braun schlägt ein dreistufiges Warnsystem aus Apps, dem sogenannten Cell Broadcasting und Sirenen vor: "Apps können vor allgemeinen Gefahren warnen und viele Informationen transportieren", erklärte er. "Bei dringenden Notlagen oder Evakuierungen kann das Cell Broadcasting, das wir als Regierung einführen wollen, alle Handys in einer bestimmten Funkzelle mit einer Nachricht erreichen." Und der Sirenenalarm mache klar, dass unmittelbarer Handlungsbedarf bestehe. Dafür sollte "ganz Deutschland wieder Sirenen in Betrieb nehmen".

Mehrere Landesinnenminister halten allerdings die Fördermittel für unzureichend. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte der "Welt am Sonntag", das Förderprogramm des Bundes zur Aufstellung von Sirenen müsse "noch deutlich aufgestockt werden". Gerade nachts und bei drohender Lebensgefahr brauche man durchdringende Sirenen.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sieht den Bund "eindeutig in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass ein bundesweit funktionierendes, flächendeckendes Warnsystem wieder installiert wird". Eine Einmalzahlung von 90 Millionen Euro sei nur ein Bruchteil dessen, was gebraucht werde. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte, wenn mehr Geld zur Verfügung stünde, könnten die Kommunen mehr in die Warn-Infrastruktur investieren.

Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) kündigte an, den Katastrophenschutz grundlegend überprüfen lassen. "Das Ganze kommt auf den Prüfstand", sagte er der "Rhein-Zeitung" in Koblenz (Montag). Dies reiche von Warn- und Alarmierungssystemen bis hin zur technischen Ausstattung mit sicheren Funksystemen etwa für den Fall, dass - wie an der Ahr geschehen - Fluten Erdkabel wegrissen.

Unterdessen reißt die Hilfsbereitschaft nicht ab. Millionenbeträge kamen bei Spendengalas von ARD und Sat.1 am Freitag- beziehungsweise Samstagabend zusamen.

In den Katastrophengebieten wollen viele Menschen auch selbst in den betroffenen Orten anpacken. Am Samstag waren es so viele, dass die Polizei in Koblenz und der Krisenstab an Helferinnen und Helfer appellierten, sich nicht mehr auf den Weg in die Region zu machen. Sämtliche Zufahrtsstraßen seien völlig überlastet, hieß es.

Am Sonntag durften freiwillige Helfer wieder in das Krisengebiet. Sie sollten die Shuttlebusse einer privaten Initiative für die Anfahrt nutzen. "Jeder Helfer ist nicht nur erwünscht, sondern wird auch dringend gebraucht", erklärte die Leiterin des Katastrophenschutzstabs, Begoña Hermann.

Während die einen helfen wollen oder Hilfe suchen, gehen andere offenbar auf Helfer los. "Leider kam es in den letzten Tagen vereinzelt zu Übergriffen gegen unsere ehrenamtlichen Helfer", erklärte das Technische Hilfswerk (THW) auf Twitter. Die Vize-Präsidentin des THW, Sabine Lackner erklärte "Zeit Online": "Das sind Vorfälle, die ich in meiner Zeit beim Technischen Hilfswerk in 20 Jahren noch nicht erlebt habe." Die Mitarbeiter seien nicht nur beworfen worden, sondern auch fotografiert worden. Die Angreifer hätten teilweise mit gefälschten Journalistenausweisen agiert.

Die Polizei kündigte an, bei Übergriffen gegen Helfer einzuschreiten: "Wir schützen alle Helferinnen und Helfer und werden nicht tolerieren, dass diese angegriffen oder angefeindet werden."

Im Katastrophengebiet an der Ahr hatte die Polizei bereits vor Aktivitäten von Rechtsextremisten und der sogenannten Querdenker-Szene gewarnt./sow/DP/he

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