Linde (WKN:648300) hat am 18. März zum ersten Mal einen Geschäftsbericht veröffentlicht, der weiteren Aufschluss über die tatsächliche Lage des kombinierten Gasekonzerns gibt. Dabei sind mir drei Aspekte aufgefallen, die vermutlich vielen Anlegern so nicht bewusst sind.

Der unbestrittene Marktführer?

Ja, wenn sie gedurft hätten, dann wäre Linde-Praxair zweifellos der mit Abstand größte Industriegasespieler. Aber die Wettbewerbsaufsicht hatte ja bekanntlich einiges dagegen. Folglich musste jede Menge Geschäftsteile abgestoßen werden, um die internationalen Behörden zu beruhigen.

Im bei der amerikanischen Wertpapieraufsicht SEC eingereichten Jahresbericht finden sich nun sogenannte Pro-Forma-Zahlen, die also aufzeigen, wie viel Umsatz und Gewinn Praxair und Linde als vereintes Unternehmen gemacht hätten, bereinigt um die veräußerten Bereiche. Knapp 30 Mrd. US-Dollar Umsatz steht da für 2018. Davon muss allerdings noch ein Betrag abgezogen werden, der sich auf die im Dezember 2018 und danach verkauften Teile bezieht. Das dürften noch einmal etwa 2 Mrd. US-Dollar sein, womit wir auf 28 Mrd. US-Dollar oder knapp 25 Mrd. Euro kämen.

Der erneut entthronte Erzrivale Air Liquide (WKN:850133) kam im abgelaufenen Geschäftsjahr auf einen Umsatz von 21 Mrd. Euro, also etwa 18 % weniger. Allerdings haben die Franzosen ihre eigene große Übernahme, nämlich die von Airgas aus dem Jahr 2015, längst integriert und treiben ihr Wachstum mit Nachdruck voran. Im ersten Quartal 2019 wurden schon wieder diverse Akquisitionen getätigt, darunter ein großer Distributor in den USA und zwei im Gesundheitswesen aktive Spezialisten aus der Schweiz.

Da Linde dieses und wahrscheinlich auch noch nächstes Jahr viel mit sich selbst beschäftigt sein wird, dürfte es Air Liquide auf absehbare Zeit gelingen, sich sehr nah heranzurobben. Von daher sehe ich hier weiterhin ein offenes Duell, von „unbestritten“, wie der Boss Steve Angel es kürzlich etwas euphorisch ausdrückte, kann kaum eine Rede sein.

Linde trumpft groß in internationalen Indices auf

Aber wenn wir mal nicht auf den Umsatz schauen, sondern auf die Marktkapitalisierung, dann sieht die Sache ganz anders aus. Linde hat hier mit 82 Mrd. Euro gegenüber den 48 Mrd. von Air Liquide tatsächlich die Nase weit vorn.

Das wirkt sich auch auf die Gewichtung in internationalen Indices aus, wo die neue Linde jetzt überall aufgenommen wird. Die alte Linde war dafür oft noch zu klein, aber zusammen mit Praxair wurde sie zu einem Schwergewicht gemacht. Wenn man der amerikanischen Sektoreinteilung folgt, dann ist Linde nun möglicherweise sogar eines der wertvollsten Rohstoffunternehmen der Welt.

Man muss dazu wissen, dass in den USA der Bereich „Energy“, also vor allem Öl und Gas, getrennt gehandhabt wird. Mit den Ölmultis kann Linde kaum mithalten. Unter den Bergbau-, Baustoff-, Gase- und Chemiekonzernen („Basic Materials“) hingegen lässt Linde eine Reihe von großen Namen hinter sich, darunter BASF (WKN:BASF11), ArcelorMittal (WKN:A0M6U2) und Glencore (WKN:A1JAGV). Gleichzeitig spaltet sich DowDuPont (WKN:A2DN8H) aktuell in drei Teile auf und wird damit voraussichtlich ebenfalls hinter Linde zurückfallen.

Im viel beachteten MSCI World Materials Index könnte es Linde gelingen, mit einer Gewichtung von 5 % die Spitze zu übernehmen (Anmerkung: MSCI (WKN:A0M63R) betrachtet die britische und die australische BHP Billiton (WKN:908101) getrennt). Dieser hohe Anteil hat zur Folge, dass ETF-Anbieter, die solche Indices nachbilden, ihre Linde-Bestände aufstocken müssen. Meine Vermutung ist, dass die zuletzt starke Aktienentwicklung auch damit in Zusammenhang steht.

Bilanzierte immaterielle Vermögenswerte müssen ihre Werthaltigkeit erst noch beweisen

Über den Zusammenschluss sind satte 15,6 Mrd. US-Dollar an immateriellen Vermögenswerten in die Bilanz gerutscht, davon Kundenbeziehungen im Wertansatz von 12,6 Mrd. US-Dollar und Markenwerte in Höhe von 2,2 Mrd. US-Dollar. Das Management geht davon aus, dass 14,5 Mrd. US-Dollar über die kommenden Jahrzehnte planmäßig abgeschrieben („amortisiert“) werden müssen, davon in den ersten Jahren jeweils rund 800 Mio. US-Dollar.

Das hat zwar keinen Einfluss auf den Kassenbestand, weil es rein buchhalterische Vorgänge sind, aber trotzdem sollte uns bewusst sein, dass den mittelfristig möglicherweise erhöhten operativen Gewinnen auch erhöhte Abschreibungen gegenüberstehen.

Alles muss sich erst einmal einrenken

Linde hat sich zunächst ganz oben einsortiert. Dabei zeigen die bisher verfügbaren Pro-forma-Zahlen nur ein unvollständiges Bild. Erst wenn wir über die nächsten Quartale sehen, wie es um die Profitabilität des kombinierten Konzerns im Detail steht, werden wir den wahren Wert besser einschätzen können. Dabei erwarte ich, dass hohe Integrationskosten in Verbindung mit den Abschreibungen das Bild noch einige Zeit trüben werden.

Der Schub durch die Aufnahme und Höhergewichtung in internationalen Indices dürfte nun auch nachlassen, sodass sich der Anlegerfokus wieder verstärkt auf die reine Bewertung der Unternehmen verschieben wird. Dort sehe ich eine Air Liquide, die befreit aufspielen kann, nur unwesentlich kleiner und dabei über 40 % billiger zu haben ist. Ob das jetzt primär für die Aktie der Franzosen spricht oder eher gegen die deutsch-englisch-irisch-amerikanische, musst allerdings du entscheiden.

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Ralf Anders besitzt eine Shortposition auf Linde. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.

Motley Fool Deutschland 2019