Aktien ohne Halt / Kommentar zur Lage an den Märkten von Werner Rüppel

Frankfurt (ots) - Eines ist inzwischen klar: Die Corona-Pandemie stellt einen

schwarzen Schwan dar. Nach dem ungewöhnlich schnellen Einbruch von Risikoaktiva

wie Aktien, Öl und hochverzinsliche Anleihen stellt sich indes eine andere

Frage: War es das schon, hat eine Bodenbildung bereits begonnen und sollen

Anleger wieder verstärkt in Risikoaktiva einsteigen? Immerhin pumpen Notenbanken

und Regierungen massiv Gelder ins System, in einem Ausmaß, das es noch nie zuvor

gegeben hat.

Niemand weiß derzeit, wie schnell die Pandemie sich ausbreiten und wann sie

besiegt sein wird. Immer deutlicher wird aber, dass die wirtschaftlichen

Auswirkungen des Shutdowns, der aktuell praktisch alle Industrieländer trifft,

sehr massiv sind. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass der Shutdown, um

das Virus sicher zu besiegen, länger dauert als zunächst gedacht. Kurzum: Bei

Wirtschaft und Unternehmen geht es jetzt ans Eingemachte.

Bei Unternehmen wird die globale Rezession, die aufgrund der Coronakrise

bevorsteht und die ja auch bereits in mehreren Indikatoren zum Ausdruck kommt,

die Gewinne massiv drücken. Nicht zuletzt der deutlich gefallene Ölpreis zeigt

die Schwere des Rückschlags. Vor diesem Hintergrund erwartet die UBS, dass der

Gewinn je Aktie europäischer Titel in diesem Jahr aggregiert um 33% gegenüber

Vorjahr fallen wird. Die Strategen von Goldman Sachs gehen gar noch einen

Schritt weiter und erwarten jetzt für den Stoxx 600 einen Einbruch der Gewinne

um satte 45% nach zuvor 23%. Dies steht beides in scharfem Gegensatz zum Konsens

der Analysten, die laut UBS noch einen Anstieg des Gewinns je Aktie von 2%

prognostizieren. Dass der Analystenkonsens derart der tatsächlichen Entwicklung

hinterherhinkt, ist übrigens nichts Neues. Das war in früheren Wirtschaftskrisen

auch so. Allein zeigt es auf, dass man herkömmliche Bewertungen von

Aktienmärkten, die meist Kurs-Gewinn-Verhältnisse auf Basis des

Analystenkonsensus berechnen, derzeit in der Pfeife rauchen kann. Sie bieten

keinen analytischen Wert mehr.

Auch beim Dax bröckeln derzeit die Gewinnprognosen kräftig, stellt

Commerzbank-Stratege Andreas Hürkamp fest. Und laut César Pérez Ruiz, Head of

Investments bei Pictet, dürften die Gewinne der US-Firmen um 30% zurückgehen bei

vier Monaten Shutdown und um 70% bei einem Shutdown von sechs Monaten.

Doch nicht nur die Gewinne bieten bei Aktien derzeit keinen Halt mehr. Die Krise

ist so schwer, dass immer mehr Unternehmen die Dividende ausfallen lassen oder

wie gerade Linde massiv kürzen. Etliche Aktiengesellschaften, die nicht genug

Speck auf den Rippen haben, kämpfen schlichtweg in der Coronakrise ums

Überleben. Ein schwaches Unternehmen wie Vapiano hat es schon erwischt. Andere

Firmen fragen den Staat um Hilfe. Erinnern wir uns: In der Finanzkrise ging

nicht nur Lehman insolvent, sondern mit General Motors auch ein großer

Autokonzern. Und etliche Banken haben nur überlebt, weil der Staat sie mit

immens viel Geld gerettet hat. Was das dann für Aktionäre in Heller und Pfennig

bedeutet, kann man bei den langfristigen Anteilseignern der Commerzbank

erfragen.

Investoren, die in Krisensituationen noch einzelne Aktien erwerben, müssen

jedenfalls sehr genau auf deren Qualität achten. Pictet-Mann Ruiz rät zur

Vorsicht bei der Aktienanlage sowie bei Unternehmensanleihen und einer breiten

Diversifikation, die der beste Schutz gegenüber einer hohen Volatilität sei.

Doch hat er mit Healthcare und IT/Home-Office-Titeln auch Branchen

identifiziert, die zumindest langfristig von Corona profitieren sollten.

Aufgrund der Schwere der Krise gehen u.a. Ruiz und die Strategen von Goldman

Sachs davon aus, dass es noch einen Ausverkauf am Aktienmarkt geben wird. Schön

wäre es, wenn es anders kommt, denn dann dürfte das Virus im Griff sein.

(Börsen-Zeitung, 28.03.2020)

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