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27.03.2020 | 18:47
Aktien ohne Halt / Kommentar zur Lage an den Märkten von Werner Rüppel
Frankfurt (ots) - Eines ist inzwischen klar: Die Corona-Pandemie stellt einen
schwarzen Schwan dar. Nach dem ungewöhnlich schnellen Einbruch von Risikoaktiva
wie Aktien, Öl und hochverzinsliche Anleihen stellt sich indes eine andere
Frage: War es das schon, hat eine Bodenbildung bereits begonnen und sollen
Anleger wieder verstärkt in Risikoaktiva einsteigen? Immerhin pumpen Notenbanken
und Regierungen massiv Gelder ins System, in einem Ausmaß, das es noch nie zuvor
gegeben hat.
Niemand weiß derzeit, wie schnell die Pandemie sich ausbreiten und wann sie
besiegt sein wird. Immer deutlicher wird aber, dass die wirtschaftlichen
Auswirkungen des Shutdowns, der aktuell praktisch alle Industrieländer trifft,
sehr massiv sind. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass der Shutdown, um
das Virus sicher zu besiegen, länger dauert als zunächst gedacht. Kurzum: Bei
Wirtschaft und Unternehmen geht es jetzt ans Eingemachte.
Bei Unternehmen wird die globale Rezession, die aufgrund der Coronakrise
bevorsteht und die ja auch bereits in mehreren Indikatoren zum Ausdruck kommt,
die Gewinne massiv drücken. Nicht zuletzt der deutlich gefallene Ölpreis zeigt
die Schwere des Rückschlags. Vor diesem Hintergrund erwartet die UBS, dass der
Gewinn je Aktie europäischer Titel in diesem Jahr aggregiert um 33% gegenüber
Vorjahr fallen wird. Die Strategen von Goldman Sachs gehen gar noch einen
Schritt weiter und erwarten jetzt für den Stoxx 600 einen Einbruch der Gewinne
um satte 45% nach zuvor 23%. Dies steht beides in scharfem Gegensatz zum Konsens
der Analysten, die laut UBS noch einen Anstieg des Gewinns je Aktie von 2%
prognostizieren. Dass der Analystenkonsens derart der tatsächlichen Entwicklung
hinterherhinkt, ist übrigens nichts Neues. Das war in früheren Wirtschaftskrisen
auch so. Allein zeigt es auf, dass man herkömmliche Bewertungen von
Aktienmärkten, die meist Kurs-Gewinn-Verhältnisse auf Basis des
Analystenkonsensus berechnen, derzeit in der Pfeife rauchen kann. Sie bieten
keinen analytischen Wert mehr.
Auch beim Dax bröckeln derzeit die Gewinnprognosen kräftig, stellt
Commerzbank-Stratege Andreas Hürkamp fest. Und laut César Pérez Ruiz, Head of
Investments bei Pictet, dürften die Gewinne der US-Firmen um 30% zurückgehen bei
vier Monaten Shutdown und um 70% bei einem Shutdown von sechs Monaten.
Doch nicht nur die Gewinne bieten bei Aktien derzeit keinen Halt mehr. Die Krise
ist so schwer, dass immer mehr Unternehmen die Dividende ausfallen lassen oder
wie gerade Linde massiv kürzen. Etliche Aktiengesellschaften, die nicht genug
Speck auf den Rippen haben, kämpfen schlichtweg in der Coronakrise ums
Überleben. Ein schwaches Unternehmen wie Vapiano hat es schon erwischt. Andere
Firmen fragen den Staat um Hilfe. Erinnern wir uns: In der Finanzkrise ging
nicht nur Lehman insolvent, sondern mit General Motors auch ein großer
Autokonzern. Und etliche Banken haben nur überlebt, weil der Staat sie mit
immens viel Geld gerettet hat. Was das dann für Aktionäre in Heller und Pfennig
bedeutet, kann man bei den langfristigen Anteilseignern der Commerzbank
erfragen.
Investoren, die in Krisensituationen noch einzelne Aktien erwerben, müssen
jedenfalls sehr genau auf deren Qualität achten. Pictet-Mann Ruiz rät zur
Vorsicht bei der Aktienanlage sowie bei Unternehmensanleihen und einer breiten
Diversifikation, die der beste Schutz gegenüber einer hohen Volatilität sei.
Doch hat er mit Healthcare und IT/Home-Office-Titeln auch Branchen
identifiziert, die zumindest langfristig von Corona profitieren sollten.
Aufgrund der Schwere der Krise gehen u.a. Ruiz und die Strategen von Goldman
Sachs davon aus, dass es noch einen Ausverkauf am Aktienmarkt geben wird. Schön
wäre es, wenn es anders kommt, denn dann dürfte das Virus im Griff sein.
(Börsen-Zeitung, 28.03.2020)
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