Backpfeife, Kommentar zum VW-Urteil des BGH von Carsten Steevens

Frankfurt (ots) - Höchstrichterlich ist nun entschieden, dass Volkswagen in

Deutschland Besitzern von Dieselfahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung

zur Verbesserung von Abgaswerten auf dem Prüfstand Schadenersatz zahlen muss.

Das erste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Dieselskandal nennt die Dinge

beim Namen: Das Verhalten des Autobauers, die Zulassungsbehörde bewusst

getäuscht und Fahrzeuge mit manipulierter Technik in siebenstelliger Stückzahl

in den Verkehr gebracht zu haben, sei "objektiv als sittenwidrig" anzusehen.

Gegenüber unwissenden Käufern sei es "besonders verwerflich" und "mit den

grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren".

Mehr als viereinhalb Jahre nach der von US-Umweltbehörden erzwungenen

Veröffentlichung der Tricksereien ist das BGH-Urteil eine Backpfeife, mit der

die Wolfsburger aber leben können. Für den Konzern, der bislang trotz

erheblicher Mittelabflüsse infolge der Coronakrise nicht vom Vorschlag einer

erheblichen Dividendensteigerung für das vergangene Geschäftsjahr abrückt,

werden die zusätzlichen Belastungen bei 60000 anhängigen Zivilklagen in

Deutschland verkraftbar sein.

Dazu trägt die Entscheidung aus Karlsruhe selbst bei, indem die Abnutzung der

Fahrzeuge bei der Berechnung der einzelnen Entschädigungssummen zu

berücksichtigen sein wird. Zudem hat sich die Zahl der

Entschädigungsberechtigten, noch kurz bevor der BGH Anfang Mai seine

verbraucherfreundliche Position andeutete, reduziert. Mit Verbraucherschützern

erzielte der Autobauer einen Vergleich, der rund 240000 Dieselhaltern die

Rückerstattung von im Durchschnitt 15 Prozent des jeweiligen Kaufpreises

zusichert. Dafür zahlen die Wolfsburger rund 750 Mill. Euro.

Um in den USA, einem Nischenmarkt für die Niedersachsen, im Dieselskandal bei

rund einer halben Million betroffener Fahrzeuge Rechtssicherheit zu erlangen,

wurden dem Konzern innerhalb kurzer Zeit mehr als 20 Mrd. Euro aufgebürdet.

Gemessen an ursprünglich 2,4 Millionen in Deutschland betroffenen

Dieselfahrzeugen wird Volkswagen glimpflich davonkommen. Das auch deshalb, weil

der BGH erst jetzt ein Urteil gesprochen hat.

Einen Schlussstrich unter den Abgasskandal bedeutet die Entscheidung nicht. Wer

in Wolfsburg wann was wusste von den Manipulationen, ist weiterhin offen. Der

Gesetzgeber wird überlegen müssen, wie er die (zivil)rechtliche Bewältigung

solcher Skandale in Deutschland verbessern kann.

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