Börsen-Zeitung: Offenbarungseid / Kommentar zu den Rissen zwischen den

Eurostaaten von Andreas Heitker

Frankfurt (ots) - Die europäischen Staats- und Regierungschefs dürfen sich

freuen. Am nächsten Freitag können sie wohl deutlich früher als gedacht ins

Wochenende gehen. Denn der Euro-Gipfel, der an diesem Tag in Brüssel angesetzt

ist, sollte nur wenige Minuten dauern. Was gibt es denn auch schon zu

beschließen, wenn die Euro-Finanzminister es nicht schaffen, auch nur einen

ihrer Arbeitsaufträge zur Vertiefung der Währungsunion endgültig abzuarbeiten?

Ein Fahrplan für die Bankenunion? Fehlanzeige. Die Verabschiedung von

Vertragsänderungen beim Eurorettungsschirm ESM? Pustekuchen. Und das ohnehin

überflüssige Eurozonen-Budget ist natürlich auch noch nicht fertig. Der

dreiseitige Brief mit den Arbeitsergebnissen des letzten halben Jahres, den

Eurogruppen-Chef Mario Centeno gestern zur Vorbereitung des Gipfels an

EU-Ratspräsident Charles Michel geschickt hat, ist ein einziger Offenbarungseid.

Dabei hatte es vor einem Monat eigentlich noch recht hoffnungsvoll ausgesehen.

Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur Vollendung der Bankenunion

und zur Einführung einer Einlagensicherung auf europäischer Ebene schien

zunächst frischen Wind in die schon so lange festgefahrenen Debatten gebracht zu

haben. Im Endeffekt haben aber wohl die vielen, zum Teil schwer zu erfüllenden

Nebenbedingungen, die für mehrere Euro-Staaten nicht akzeptabel waren, die

Blockaden nur noch fester gezurrt. Sollte Scholz dies mit seinem Vorstoß von

vornherein so kalkuliert haben, dann wäre sein Plan nun aufgegangen. Zumindest

ist das Thema Einlagensicherung jetzt erst einmal wieder runter von der

Brüsseler Prioritätenliste. Möglicherweise muss nun erst einmal die

EU-Kommission einen neuen Gesetzesvorschlag auf den Tisch legen.

Edis, das Eurozonen-Budget und die ESM-Reform, wo den Finanzministern wenig

Antworten auf die aufgeheizte Euro-Debatte in Italien eingefallen sind, legen

die Risse zwischen den Euro-Staaten noch einmal offen. Sie zeigen aber auch,

dass die Eurogruppe ein Führungsproblem hat. Centeno, seit fast zwei Jahren

Eurogruppen-Chef, verkündet laufend Einigungen und Durchbrüche, die sich im

Nachhinein immer wieder als Luftnummern erweisen. Ihm ist es bislang nie

gelungen, die kontroversen Debatten im Vorfeld der Sitzungen zu bündeln,

Kompromisse auszuloten und eventuell mit eigenen Initiativen dazu beizutragen.

Trotz fehlender Krise gab es in den letzten Jahren ständig Nachtsitzungen in der

Eurogruppe. Auch dies ein Zeichen, dass hier etwas falsch läuft.

(Börsen-Zeitung, 06.12.2019)

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