Börsen-Zeitung: Vom Handelskonflikt geplagt / Analyse zum Aktienmarkt

von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots) - Die Aktienmärkte wirken derzeit wie ein Bär, der am Nasenring

durch die Manege gezogen wird. In fast täglichem Rhythmus werden sie von

Nachrichten, die auf eine baldige Einigung im Handelskonflikt der USA mit China

hoffen oder daran zweifeln lassen, nach oben und nach unten gezogen. Seinen

jüngsten Durchbruch bis in die Nähe seines Hochs bei rund 13.600 Zählern

verdankte der Dax Äußerungen aus US-Regierungskreisen, die auf eine schnelle

Einigung hinzudeuten schienen. Nachdem diese ausgeblieben ist und Zweifel an

einer Annäherung noch in diesem Jahr aufgekommen sind, haben die Aktienmärkte

zuletzt wieder etwas Wind aus den Segeln verloren. Leider gibt es einige Gründe

für die Vermutung, dass eine erste Einigung zwischen den Streithähnen noch etwas

auf sich warten lässt.

So verstärkt sich in der Ukraine-Affäre der Druck auf US-Präsident Donald Trump,

so dass sich die Frage stellt, ob eine schnelle Lösung im Handelsdisput zurzeit

eine hohe Priorität für ihn haben kann. Fraglich ist auch, ob eine baldige

Lösung vom Timing her überhaupt im Sinne Trumps ist. Seit mehr als einem Jahr

werden Experten nicht müde zu betonen, dass Trump Interesse an einer Beilegung

des Streits oder zumindest an einem Waffenstillstand hat, um eine scharfe

wirtschaftliche Abschwächung und fallende Aktienkurse zu verhindern, weil dies

seine Wiederwahl gefährden würde. Eine Phase der Eskalation hat es trotzdem

gegeben. Möglicherweise sollte dies aus PR-Perspektive betrachtet werden. Trump

muss Erfolge vorweisen. Damit diese sich am Wahltag auszahlen, ist es aus seiner

Sicht wahrscheinlich ratsam, das Pulver nicht ein Jahr vor der Wahl zu

verschießen, sondern den Deal erst wenige Wochen vor dem Urnengang aus dem Hut

zu zaubern.

Ein fortgesetztes langes Warten auf den Deal wäre für die Aktienmärkte negativ,

und möglicherweise müsste von Hoffnungen auf eine Jahresendrally und ein

Rekordhoch des Dax Abschied genommen werden. Die Aktienmärkte sind in diesem

Jahr von der Kehrtwende der globalen Krise getrieben worden. Gleichzeitig ist

das globale Wachstum deutlich zurückgegangen, womit auch die

Unternehmensgewinnentwicklung deutlich hinter den Erwartungen von vor zwölf

Monaten zurückgeblieben sind. 2018 noch bei 3,55%, ist das Wachstum der

Weltwirtschaft Schätzungen zufolge in diesem Jahr auf knapp unter 3% gefallen.

Im Ergebnis haben sich die Bewertungen, wenn die Kurs-Gewinn-Verhältnisse

zugrunde gelegt werden, deutlich erhöht. In diesem Umfeld muss gehofft werden,

dass 2020, anders als im auslaufenden Jahr, die von Strategen erhoffte

Stabilisierung und anschließende Erholung des Wirtschafts- und Gewinnwachstums

tatsächlich kommt. Solange aber der Handelskonflikt für Unsicherheit sorgt und

die Investitionstätigkeit dämpft, bleibt dies eben nur ein Hoffnungswert.

Einstweilen verschlechtern sich die ökonomischen Einschätzungen von

Ratingagenturen und Institutionen wie der OECD derzeit weiter. So hat Moody's in

der abgelaufenen Woche vor erhöhten Rezessionsrisiken gewarnt. Die

Weltwirtschaft werde im Jahr 2020 fragil bleiben. "Auch wenn wir in unserem

Basisszenario keine Rezession erwarten, sind die Rezessionsrisiken vor dem

Hintergrund der Handelspolitikunsicherheit, eines unvorhersehbaren politischen

und geopolitischen Umfelds sowie der Tatsache, dass der fiskal- und

geldpolitische Spielraum zur Verhinderung eines weiteren Abschwungs in

entwickelten Volkswirtschaften begrenzt bleibt, hoch." Ein schleppendes

Wirtschaftswachstum werde die Unternehmensgewinnentwicklung schwächen.

Das weltweite Wachstum werde für dieses Jahr mit 2,9% und damit auf dem

niedrigsten Niveau seit der Finanzkrise und in den Jahren 2020 und 2021 mit 2,9%

bis 3% erwartet, so die OECD in ihrem jüngsten Ausblick. Der Handelskonflikt,

eine schwache Investitionstätigkeit und anhaltende politische Unsicherheit

erhöhten das Risiko langfristiger Stagnation. Zwei Jahre mit eskalierenden

Konflikten über Zölle vor allem zwischen den USA und China hätten den Handel

beeinträchtigt, schwächten die Investitionstätigkeit und brächten Arbeitsplätze

in Gefahr. Auch wenn sich die Ausgaben der privaten Haushalte auf hohem Niveau

gehalten hätten, stellten sich Zeichen einer Abschwächung ein, so die OECD, die

auf weitere, strukturelle Negativfaktoren verweisen würden. Die Digitalisierung

transformiere Geschäftsmodelle, gleichzeitig wälzten klimatische und

demografische Veränderungen bestehende Muster wirtschaftlicher Aktivität um.

(Börsen-Zeitung, 23.11.2019)

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