Hummer-Alarm / Kommentar zu EU-Vergeltungszöllen gegen die USA von

Stefan Reccius.

Frankfurt (ots) - Monatelang mussten sich Politik und Exporteure auf beiden

Seiten des Atlantiks gedulden, nun ist die mit Spannung erwartete Zahl

durchgesickert: 4 Mrd. Dollar pro Jahr stehen der Europäischen Union an

Vergeltungszöllen zu, als Ausgleich für illegale Exportsubventionen der

US-Regierung an den Flugzeugbauer Boeing. Brisanter könnte der Zeitpunkt für

diese Entscheidung kaum sein.

Keine fünf Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl steht die EU vor einer

delikaten Entscheidung: Ernst machen und eine weitere Eskalation riskieren? Die

Zölle würden einen neuerlichen Tiefpunkt im transatlantischen Verhältnis

markieren und der Weltwirtschaft mitten in der Erholung einen Schlag versetzen.

Oder sollte Brüssel abwarten und auf einen Machtwechsel im Weißen Haus hoffen?

Das wäre ein Zeichen von Schwäche, das Trump im Fall seiner Wiederwahl in die

Karten spielt.

Der neue EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis ist um seine erste

Bewährungsprobe nicht zu beneiden. Vorgänger Phil Hogan hat keinen Zweifel daran

gelassen, dass die EU zurückschlagen wird, sobald die Autorisierung von Seiten

der WTO da ist. In der Zwischenzeit ist jedoch nicht nur die US-Wahl näher

gerückt und mit ihr die Aussicht auf ein Ende des Zollspuks, hat doch der

Berater von Trump-Herausforderer Joe Biden der EU mit der Ansage, den

"künstlichen Handelskrieg" beenden zu wollen, eindeutige Avancen gemacht. Auch

haben Amerikaner und Europäer kürzlich ein Freihandelsabkommen im Miniaturformat

geschlossen, das leicht zu übersehen, dafür in seiner politischen Wirkung kaum

zu überschätzen ist: Im Wesentlichen erlässt die EU den USA die Zölle auf

hierher exportierten Hummer. Ein Zugeständnis an Trumps Klientel in der

Hummer-Hochburg Maine, wo der Präsident auf jede Stimme angewiesen ist.

Mit der Zolldrohung im Airbus-Boeing-Konflikt wendet sich das beim Hummer

angewendete Kalkül ins Gegenteil: Kohleproduzenten, Farmer und Fischer in den

USA müssen Zölle fürchten - ebenfalls republikanische Stammwähler. Solche

Wahlkampfeinmischung kann Trump kaum unbeantwortet lassen. Trotzdem sollte die

EU nicht den Mut verlieren: Die USA erheben längst Milliardenzölle, weil auch

EU-Staaten im Umgang mit Airbus WTO-Recht gebrochen haben. Der seit 2004

schwelende Streit geht nicht auf Trumps Konto, und er wird auch nicht mit dessen

Auszug aus dem Weißen Haus enden. Die von der WTO autorisierten Zölle müssen

kommen - nur so lässt sich anschließend glaubhaft und auf Augenhöhe verhandeln.

(Börsen-Zeitung, 01.10.2020)

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