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30.09.2020 | 20:17
Hummer-Alarm / Kommentar zu EU-Vergeltungszöllen gegen die USA von
Stefan Reccius.
Frankfurt (ots) - Monatelang mussten sich Politik und Exporteure auf beiden
Seiten des Atlantiks gedulden, nun ist die mit Spannung erwartete Zahl
durchgesickert: 4 Mrd. Dollar pro Jahr stehen der Europäischen Union an
Vergeltungszöllen zu, als Ausgleich für illegale Exportsubventionen der
US-Regierung an den Flugzeugbauer Boeing. Brisanter könnte der Zeitpunkt für
diese Entscheidung kaum sein.
Keine fünf Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl steht die EU vor einer
delikaten Entscheidung: Ernst machen und eine weitere Eskalation riskieren? Die
Zölle würden einen neuerlichen Tiefpunkt im transatlantischen Verhältnis
markieren und der Weltwirtschaft mitten in der Erholung einen Schlag versetzen.
Oder sollte Brüssel abwarten und auf einen Machtwechsel im Weißen Haus hoffen?
Das wäre ein Zeichen von Schwäche, das Trump im Fall seiner Wiederwahl in die
Karten spielt.
Der neue EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis ist um seine erste
Bewährungsprobe nicht zu beneiden. Vorgänger Phil Hogan hat keinen Zweifel daran
gelassen, dass die EU zurückschlagen wird, sobald die Autorisierung von Seiten
der WTO da ist. In der Zwischenzeit ist jedoch nicht nur die US-Wahl näher
gerückt und mit ihr die Aussicht auf ein Ende des Zollspuks, hat doch der
Berater von Trump-Herausforderer Joe Biden der EU mit der Ansage, den
"künstlichen Handelskrieg" beenden zu wollen, eindeutige Avancen gemacht. Auch
haben Amerikaner und Europäer kürzlich ein Freihandelsabkommen im Miniaturformat
geschlossen, das leicht zu übersehen, dafür in seiner politischen Wirkung kaum
zu überschätzen ist: Im Wesentlichen erlässt die EU den USA die Zölle auf
hierher exportierten Hummer. Ein Zugeständnis an Trumps Klientel in der
Hummer-Hochburg Maine, wo der Präsident auf jede Stimme angewiesen ist.
Mit der Zolldrohung im Airbus-Boeing-Konflikt wendet sich das beim Hummer
angewendete Kalkül ins Gegenteil: Kohleproduzenten, Farmer und Fischer in den
USA müssen Zölle fürchten - ebenfalls republikanische Stammwähler. Solche
Wahlkampfeinmischung kann Trump kaum unbeantwortet lassen. Trotzdem sollte die
EU nicht den Mut verlieren: Die USA erheben längst Milliardenzölle, weil auch
EU-Staaten im Umgang mit Airbus WTO-Recht gebrochen haben. Der seit 2004
schwelende Streit geht nicht auf Trumps Konto, und er wird auch nicht mit dessen
Auszug aus dem Weißen Haus enden. Die von der WTO autorisierten Zölle müssen
kommen - nur so lässt sich anschließend glaubhaft und auf Augenhöhe verhandeln.
(Börsen-Zeitung, 01.10.2020)
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