Im zweiten Coronaschock / Analyse zur Lage am Kapitalmarkt von Werner

Rüppel

Frankfurt (ots) - Vor gut einer Woche hat Gertrud R. Traud in ihrer Keynote auf

dem Investmentfondstag der Börsen-Zeitung noch vor einer deutlichen Korrektur am

Aktienmarkt gewarnt. Denn die Anleger hätten angesichts des massiven Anstiegs

der Neuinfektionen "zu viel Gelassenheit" geübt. Jetzt hat die dramatische

Ausbreitung der Pandemie nicht nur zu einem Herunterfahren des öffentlichen

Lebens in Deutschland und in etlichen anderen Staaten geführt. Der zweite

Coronaschock hat, wie von der Chefvolkswirtin der Helaba befürchtet, auch die

Aktienmärkte erreicht: Der Dax hat in der abgelaufenen Woche 8,6% auf 11.556

Zähler verloren. Und die Kurse etlicher Unternehmen, welche - wie Fraport oder

CTS Eventim - der Lockdown light besonders trifft, haben sich stark nach Süden

orientiert. Als Belastungsfaktor ist noch die Senkung der Langfristprognose von

SAP hinzugekommen, die den Kurs des Konzerns binnen Wochenfrist um 26,7%

abstürzen ließ.

SAP sind jetzt zumindest sehr viel preiswerter zu haben, und die Analysten von

Independent Research betonen, dass der Wachstumstrend des Tech-Konzerns

ungebrochen ist. Insofern stehen die Chancen gut, dass bei SAP eine

Einstiegsgelegenheit für langfristig orientierte Investoren vorliegt. Mister

SAP, Aufsichtsratschef Hasso Plattner, ist jedenfalls von seiner Company

überzeugt und hat für 300 Mill. Euro auf dem ermäßigten Niveau Aktien gekauft

und dazu auch noch Stücke verpfändet.

Wohin steuert nun aber der deutsche Aktienmarkt? Ein weiteres Durchsacken nach

unten ist kurzfristig gut möglich, sagen mehrere technische Analysten, die

vermehrte Anzeichen der Schwäche feststellen. "Die letzten Tage vor der US-Wahl

bedeuten für die Finanzmärkte wahrscheinlich den Höhepunkt der Unsicherheit",

sagt Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck. Denn neben der sich

verschärfenden Pandemie sorgen die Wahl des US-Präsidenten und die Entscheidung

über den Brexit für Nervosität an den Märkten. "Kurzfristig bedeutet das für den

November noch erhöhte Schwankungsanfälligkeit für die Börsen", so Greil. Denn

wie sich die drei genannten Belastungsfaktoren entwickeln, das weiß letztendlich

keiner.

Bezüglich der US-Wahl kommt es hoffentlich in der kommenden Woche zu einem

klaren Ergebnis. Denn ein Patt dürfte die Aktienmärkte weltweit zusätzlich

belasten. Manfred Hübner, Geschäftsführer von Sentix, stuft alles, was kein Patt

ist, als positiv ein. Dann könne nach der Wahl der "Honeymoon" am Aktienmarkt

beginnen, den Hübner bei der Analyse des US-Präsidentschaftszyklus festgestellt

hat. Und wenn Joe Biden, wie derzeit erwartet, siegt, kann auch das angekündigte

massive Konjunkturprogramm der Demokraten starten.

Darüber hinaus muss es auch nicht zu einem Hard Brexit kommen. Traud rechnet

hier mit einem "EU-typischen Vorgehen", sprich, man werde sich auf den letzten

Drücker noch auf ein Freihandelsabkommen einigen.

Bleibt noch die Coronavirus-Pandemie, deren Verlauf natürlich in höchstem Maße

unsicher ist. "Der Teil-Lockdown setzt die Wirtschaft unter Druck", stellt

Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank, fest. Nach der kräftigen Erholung

der Wirtschaft im dritten Quartal sei nunmehr ein Rückfall in eine leichte

Rezession nicht unwahrscheinlich.

An den Aktienmärkten ist vor allem bei Titeln, die der teilweise Lockdown

besonders trifft, große Vorsicht geboten. Die Kurse dieser Unternehmen könnten

in den kommenden Tagen regelrecht zerbröseln. Trotz all dieser Unwägbarkeiten

erscheinen Aktien aber zumindest mittelfristig durchaus aussichtsreich. Denn der

erste Corona-Crash hat gezeigt, dass die Notenbanken und die Staaten auf der

Seite des Anlegers stehen. Das sollte auch dem Dax helfen. "Die EZB wird auch in

der zweiten Welle da sein", hat ihre Präsidentin Christine Lagarde diese Woche

erklärt. Volker Schilling von Greiff Capital Management übersetzt ihre Botschaft

mit: "Fürchtet euch nicht." Die Zentralbank stehe Gewehr bei Fuß, um bei Bedarf

weitere Maßnahmen zu ergreifen. Schilling rechnet sogar damit, dass die

Währungshüter im Dezember beginnen werden, sich am Aktienmarkt zu engagieren.

"Es bleibt ein Umfeld, das positiv für Aktien ist", analysiert Jörg Zeuner,

Chefvolkswirt von Union Investment. Und DWS-Fondsmanager Klaus Kaldemorgen

stellt fest: "Betrachtet man Aktien in Relation zu Anleihen, gibt es noch eine

Menge Luft nach oben." Schilling rät passend zum (meist ausgefallenen)

Halloween: "Nutzen Sie die Kursrückgänge, um sich einen schönen Korb mit Süßem

zu füllen."

(Börsen-Zeitung, 31.10.2020)

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