Der Verband öffentlicher Banken (VÖB) hat sich skeptisch zum aktuellen geldpolitischen Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) geäußert. "Die September-Beschlüsse haben den Bogen überspannt", sagte Ökonom Christian Lips von der NordLB am Mittwoch bei der Vorstellung der Kapitalmarktprognose der VÖB in Frankfurt. Auf der vergangenen Zinssitzung hatte die EZB unter anderem den Strafzins auf Einlagen bei der Notenbank erhöht und die Neuauflage der Anleihekäufe beschlossen.

Die EZB sei trotz einer vergleichsweise guten konjunkturellen Entwicklung in den vergangenen Jahren nie aus dem Krisenmodus herausgekommen, sagte Sintje Boie von der Hamburger Commercial Bank. Und der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater, fügte hinzu: "Die Notenbank steht als Konjunkturstütze nicht zur Verfügung".

In einer gemeinsamen Stellungnahme der VÖB Kapitalmarktstrategen werden darüber hinaus kritische Töne in Richtung der EZB laut. "Angesichts der Quasi-Abschaffung des positiven Zinses kann es nicht überraschen, dass die Sparer nicht gut auf die EZB zu sprechen sind", hieß es. Jens-Oliver Niklasch, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) machte darüber hinaus auf die Gefahren der lockeren Geldpolitik aufmerksam. "Wer den Tiger reitet, kann nicht absteigen", sagte der Ökonom.

Trotz der extrem lockeren Geldpolitik blicken die VÖB-Analysten eher pessimistisch auf die weitere konjunkturelle Entwicklung und rechnen nur mit einem vergleichsweise schwachen Wirtschaftswachstum. Für Deutschland, der größten europäischen Volkswirtschaft, erwarten die VÖB-Experten im laufenden Jahr eine Zunahme der Wirtschaftsleistung zwischen 0,4 Prozent und 0,6 Prozent. Im kommenden Jahr dürfte sich das Wachstum nur leicht beschleunigen. Die Wachstumsprognosen liegen zwischen 0,3 und 1,2 Prozent.

Analyst Alexander Aldinger von der BayernLB begründete seine verhaltene Prognose für das deutsche Wachstum mit internationalen Handelskonflikten. Er halte eine Lösung des Streits zwischen den USA und China für nicht wahrscheinlich.

Im Euroraum soll es nach Einschätzung der VÖB-Experten nicht viel besser laufen. Hier wird im kommenden Jahr ein Wachstum zwischen 0,8 bis 1,3 Prozent erwartet. Experte Lips von der NordLB räumte ein, "wir haben wahrscheinlich eine technische Rezession". Es gebe Risiken, die sich noch nicht materialisiert hätten, sagte Lips. Er verwies vor allem auf einen ungeregelten Brexit und die damit verbundenen möglichen Verwerfungen.

Eine kurzfristige Lösung für die Probleme sehen die Experten der VÖB nicht. Stattdessen forderten sie, die strukturellen Probleme anzugehen. Dazu gehören laut den Experten vor allem fehlende Investitionen in digitale Infrastruktur, Straßen, Schienen und Energienetze. Unabdingbar sei außerdem eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik, um der EZB wieder Handlungsspielraum zu geben./ssc/jkr/he

AXC0218 2019-10-16/16:08

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